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Mehr als Unterhaltungskino: „Raya und der letze Drache“

Empfehlung Screenshot (Ausschnitt) Walt Disney Animation Studios Screenshot (Ausschnitt)

Um die Menschen vor dem Bösen zu retten, opfert Sisu, der letzte Drache, seine Kräfte. Als das Böse zurückkehrt, macht sich die junge Raya auf die Suche nach Sisu.

Horror for Future #6: Rezension und Einordnung im Kontext sozio-kultureller Herausforderungen

KumandraEinst war Kumandra ein gemeinsames Land aus fünf Staaten. Die Menschen lebten gemeinsam mit den Drachen glücklich und ohne Sorgen. Die Drachen gaben den Menschen das Wasser, welches das Leben überhaupt erst möglich machte. Doch irgendwann erwachten die Druun, Kreaturen der Dunkelheit, die über das Land zogen. Wer mit den Druun in Berührung kam, verwandelte sich in Stein. So wurden die meisten Menschen versteinert, bis schließlich die Drachen beschlossen, gegen diese formlose Bosheit in die Schlacht zu ziehen. Doch auch ihre Magie versagte, als sie von den Druun berührt wurden. Sisu (Awkwafina) aber, die letzte unter den Drachen, opferte ihre Macht in einem wagemutigen Ritual und erschuf so den Drachenjuwel. Dieser vernichtete die Druun und befreite die Menschen von ihrer Versteinerung. Nur die Drachen blieben versteinert – warum, weiß bis heute keiner unter den Menschen. Sisu ist seither verschwunden und zu einer Legende geworden.

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R7Viele Jahre später ist Kumandra in fünf verfeindete Staaten zerfallen, die alle nach Körperteilen eines Drachen benannt sind. Der Drachenjuwel wird von den Menschen aus Herz bewacht. Raya (Kelly Marie Tran) ist seit ihrer Kindheit darauf vorbereitet worden, diesen Kristall zu schützen, der die Quelle des Wassers in der Welt ist. Die Druun können Wasser nicht überqueren, daher bietet dieses Artefakt den Menschen Schutz. Als bei einem Treffen der fünf Staatsoberhäupter der Drachenjuwel in fünf Teile zerbrochen wird, kehren die Druun aus der Dunkelheit zurück. Jedes der Reiche beansprucht nun einen Teil des Drachenjuwels für sich. An diesem schicksalhaften Tag entkommen allerdings nur wenige aus Herz.

R5Für einige Jahre jagt Raya einer Legende hinterher, in der Hoffnung, Sisu zu finden. Die Welt ist mittlerweile ausgezerrt und von den Menschen leben nur noch wenige. Die Druun sind zur alles kontrollierenden Bedrohung geworden. Doch Raya und ihr tierischer Freund und Begleiter Tuk Tuk (Alan Tudyk) reisen sprichwörtlich bis ans Ende der Welt, um diese zu retten. Dort treffen die beiden schließlich auf Sisu. Die Menschheit ist von Misstrauen, Hass, Neid und Rachegelüsten zerfressen, selbst Protagonistin Raya ist in dieser Hinsicht allzu menschlich. Sisu sieht daher wenig Hoffnung, was die Zukunft der Menschheit anbelangt, ist allerdings gnadenlos optimistisch.

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In dieser Fabel aus dem Hause Disney wird der Menschheit ein Spiegel vorgehalten. Was passiert, wenn man nur an Profit denkt oder den eigenen Wohlstand auf Kosten anderer aufbaut, wird hier deutlich präsentiert. Dafür wird eine Welt geschaffen, die im Grunde aus stereotypischen Staaten besteht, die jeweils einen Aspekt dessen verkörpern, was die Druun geschaffen hat. Denn diese Kreaturen entstammen der Seele der Menschen, ebenso wie die Drachen. Während die Drachen alles Gute in den Menschen repräsentieren, so repräsentieren die Druun das Schlechte. Dadurch ist Raya und der letzte Drache weit mehr als ein wunderschöner Animationsfilm für die ganze Familie. Wie selten in einem Werk von Disney wirkt jeder Moment, jedes einzelne Bild in dem Film bedeutsam. Damit soll keinem anderen Animationsfilm von Walt Disney Animation irgendeine Qualität abgesprochen werden. Nur neben der gewohnt stimmigen Bildkomposition, die eines der größten Qualitätsmerkmale von Disneys Animationsfilmen darstellt, wird bei Raya und der letzte Drache nichts rein aus Gründen des Spektakels präsentiert. Alles ist im Kontext der ernsten, dystopischen Dramaturgie rückgekoppelt. Vieles wird in der Inszenierung verniedlicht und mit dem Element der Komik wird einiges von der Ernsthaftigkeit abgemildert, aber Raya und der letzte Drache lässt sich als eine offene Mahnung an die Menschen deuten. Sowohl im Kontext der Notwendigkeit eines Schutzes des Weltklimas – ohne Wasser werden die Menschen zu Stein – als auch als Kritik am Geist des Turbokapitalismus – wer nur an sich denkt und wie man selbst weiterkommt, kann nicht bestehen – nimmt der Film sehr klare Positionen ein.

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R4Ferner etabliert der Film über den Handlungsverlauf ein stark gemischtes Team als Heldengruppe, die ihre inneren Differenzen überwinden muss, um weiterzukommen. Dabei stehen mit Sisu und Raya zwei sehr starke weibliche Figuren im Mittelpunkt der Erzählung. Sisu repräsentiert das Wasser, die Natur und das Leben selbst – man kann die Figur als eine Gottmutter im Sinne von Gaia deuten. Raya hingegen repräsentiert den Kampfgeist und den Überlebenswillen des Menschen, ebenso wie die Hoffnung. Allerdings ist Raya von negativen Erfahrungen geprägt und ihr Leben ist von Verlusten gezeichnet, die durch ausgenutztes Vertrauen entstanden sind. Rayas Heldenreise besteht oberflächlich betrachtet aus der Suche nach den Fragmenten des Drachenkristalls. Dabei sind es allerdings vornehmlich die unerwarteten Verbündeten, die sie findet, die zu den für eine Heldenreise im dramaturgischen Sinne notwendigen Veränderungen in der Persönlichkeit der Protagonistin führen. Durch die verschachtelte Dramaturgie wird hier zudem eine simple Gut-Böse-Dichotomie vermieden, der außerdem durch ambivalente Charakterzeichnungen der zentralen Figuren entgegengewirkt wird. Daraus erschafft Raya und der letzte Drache ein modernes Märchen, das deutlich mehr anbietet als einfach nur zu unterhalten, was der Film nebenbei zudem sehr gut vollbringt.

Auf einem beeindruckenden technischen Animationsniveau hat Disney einen ersten Anwärter auf einen Oscar für den besten Animationsfilm 2022 veröffentlicht. Derzeit steht der Film lediglich gegen ein zusätzliches Investment von rund 22 Euro für den VIP-Service zusätzlich zu einem bestehenden Disney+-Abonnement zur Verfügung. Ab Juni darf sich dann jeder Abonnent von Disney+ darüber freuen, den Film ansehen zu können. Etwas später wird der Film vermutlich auch auf DVD und Blu-ray Disc erscheinen. Ob es eine Kinoauswertung geben wird, sollte dies wieder möglich sein, ist zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt. Unklar bleibt auch, ob die stereoskopische 3D-Fassung des Films veröffentlicht werden oder ob das dafür verantwortliche Department lediglich eine Randnotiz im Abspann des Films bleiben wird.

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Abgesehen von der Veröffentlichungspolitik, die angesichts ausfallender Kinoeinnahmen allerdings nachvollziehbar ist, gibt es nichts, was man an Raya und der letzte Drache kritisieren muss. Man kann sich an der „Coolness“ der Protagonistin stören oder an der kommerziellen Ausrichtung auf ein Massenpublikum hin, der jeder größere Film unterliegt. In einer dystopischen, post-apokalyptischen Welt härten Menschen ab, es ist daher wenig überraschend, dass Raya zeitweilig an Mad Max aus den gleichnamigen Filmen erinnert oder an den einsamen Wanderer Dark aus Kia Asamias Manga Dark Angel. Man kann sich auch einfach darüber freuen, dass Disneys neuester Animations-Blockbuster wichtige Themen für die Menschheit in den Mittelpunkt stellt und das bei einem erwartbar großen Publikum die Reichweite genutzt wird, um diese zu verbreiten. Hier stellt sich übrigens zu keinem Zeitpunkt die Frage nach Gleichstellung, da in der Welt von Kumandra Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Das ist eine der Utopien, die der Film anbietet zu genießen.

Raya und der letzte Drache unterhält sehr gut und ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene eine schöne Erfahrung. Neben dem Offensichtlichen bietet einem Raya und der letzte Drache allerdings noch einiges an, über das man nachdenken kann. Es ist erfreulich zu sehen, dass Walt Disney Animation in diesem Werk nicht einfach nur einen unterhaltsamen Film erschafft – wie es sonst oftmals der Fall ist –, sondern einen relevanten Kunstbeitrag zu aktuellen Diskursen geschaffen hat.

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Trailer zu Raya und der letzte Drache

Infokasten

„Raya und der letze Drache“ (OT: „Raya and the last Dragon“)

Regie: Don Hall, Carlos López Estrada, Paul Briggs, John Ripa

Drehbuch: Qui Nguyen & Adele Lim

Produktion: Walt Disney Animation Studios, Walt Disney Pictures

Verleih: Disney+ (derzeit nur im VIP-Service)

Laufzeit: 107 Minuten (uncut)

Veröffentlichung: Ab dem 05. März 2021 als VIP-Titel exklusiv bei Disney+.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amSonntag, 04 April 2021 17:13
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

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