Wenn die Vernunft schweigt: „Voice of Silence“
- geschrieben von Thomas Heuer
- Publiziert in Film
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EuiJeong Hong thematisiert in ihrem Langfilmdebüt die Schere zwischen Arm und Reich, Macht und Ohnmacht, Hoffnung und Hilflosigkeit im zeitgenössischen Südkorea.
Rezension
Tae-in (Yoo Ah-in) kann nicht sprechen. Er lebt mit seiner Schwester Moon-ju (Ka-eun Lee) in einer Bretterbude irgendwo im ländlichen Südkorea. Der Farmbesitzer und Eierhändler Chang-bok (Yoo Jae Myung) hat sich Tae-in bereits vor vielen Jahren angenommen und weiß dessen Arbeitsmoral und ruhige Art zu schätzen. Nebentätig arbeiten die beiden mit dem organisierten Verbrechen zusammen. Immer dann, wenn jemand gefoltert oder entsorgt werden muss, kümmern sich Chang-bok und Tae-in darum, dass die werten Herren Kriminellen auf der Farm einen abgelegenen Platz finden, um ihre Fragen ungestört stellen zu können. Das läuft so lange gut, bis Chang-bok den Auftrag erhält, das Mädchen Cho-hee (Seung-ah Moon) für ein paar Tage festzuhalten, bis das Lösegeld angekommen ist.
Die Ausgangslage zeichnet zwei Männer als Hauptfiguren, die von dem leben müssen, was ihnen zufällt. Besonders Tae-in lebt mit seiner Schwester wie in einem Slum. Er muss sich um die entführte Cho-hee kümmern, die Tochter eines reichen Geschäftsmanns. Der Vater scheint sich allerdings nicht für seine Tochter zu interessieren, immer wieder fällt der Satz, er habe ja noch seinen Sohn und der sei wichtiger. Diese Information gibt Chang-bok dem Mädchen wieder und wieder. Die Überforderung von Tae-in und Chang-bok wird mit jedem Tag größer.
Wie in Voice of Silence verschiedene Gesellschaftsschichten miteinander interagieren und dabei ein ums andere Mal zu kollidieren drohen, ist beeindruckend. Voice of Silence ist in seiner Form eine Tragikomödie, also eine Mischung aus tragischen und komödiantischen Aspekten innerhalb der Dramaturgie. Abgesehen von einiger bewusst eingestreuter Situationskomik ist Voice of Silence dennoch eher ernst. Der Film erscheint wie eine Geschichte, in der niemand gewinnen kann. Dabei sind die Wünsche derer, die aus der untersten Gesellschaftsschicht stammen, sinnbildlich in Tae-ins Charakter angelegt. Während Cho-hee aus der höchsten gesellschaftlichen Schicht stammt und sich im Gegenzug mit einem Leben in einem Slum konfrontiert sieht.
Durch viele Ambivalenzen schafft Regisseurin EuiJeong Hong ein ruhiges Werk, das viele Missstände innerhalb der Gesellschaft anprangert. Voice of Silence ist ein besonderer Film, der vornehmlich von seinen Figuren und deren Darsteller*innen getragen wird. Nahezu jede Figur erlebt in diesem Film eine persönliche Tragödie, obwohl die Erzählung nicht für alle negativ endet.
Voice of silence ist beeindruckendes Charakterkino aus Südkorea. Mit viel Ambivalenz und feingearbeiteten Figuren wird ein zugespitzter Figurenkosmos geschaffen, der gesellschaftliche Probleme, Sorgen und Nöte aus verschiedenen Perspektiven thematisiert. Dies gelingt, ohne für eine der Seiten Partei zu ergreifen, was besonders eindrucksvoll ist.
Trailer zu Voice of silence
Infokasten
„Voice of Silence“
Regie: Hong Ui-Jung
Drehbuch: Hong Ui-Jung
Laufzeit: 99 Minuten
Produzent: Choi Moon-seok, Kim Hyung-ok, Kim Lewis Taewan
Verleih: Bisher keiner.
Südkorea | 2020
Veröffentlichung: Der Film war Teil der Fantasy Filmfest Nights XL 2021. Zum Zeitpunkt dieser Rezension steht kein regulärer Veröffentlichungstermin für Deutschland fest.
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- August 2021
Thomas Heuer
Dr. phil. Medienwissenschaft
Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer
Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie
Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik