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Weniger melancholisch, weniger philosophisch: „Altered Carbon“, Staffel 2

Kovacs erblickt sein neues Ich im Spiegel. Netflix Kovacs erblickt sein neues Ich im Spiegel.

Wer wie ich gerade auf Cyberpunk tript, kann sich Staffel 2 gut mal ansehen. Klar, Staffel 1 hat ein klares Ende. Trotzdem ist die Fortsetzung nicht bloß Aufgewärmtes.

Rezension

Angefixt durch das Game Cyberpunk 2077 und die aktuelle 6. Edition des Kultrollenspiels Shadowrun habe ich mir kürzlich die zweite Staffel von Altered Carbon – Das Unsterblickeitsprogramm angeschaut, mit der ich lange gehadert habe, denn eigentlich ist in Bezug auf die Figuren und ihre Welt alles Wesentliche erzählt worden. Brauchte es da eine weitere Staffel? Braucht’s wohl selten, aber diese ist spannend gemacht und wartet außerdem mit einem diversen Figurentableau auf, in dem der weiße männliche Actionheld, der zudem durch seine traumatisierende Vergangenheit gebeutelt wird, eher eine Randerscheinung ist. Es gibt sogar ein lesbisches Paar, das gemeinsam ein Kind großzieht, ohne dass dies ein großes Ding wäre.

AC2 1Erschienen ist die Fortsetzung der auf einem Roman von Richard Morgan basierenden Serie schon im Februar 2020. Erzähltechnisch spielt die Fortsetzung 30 Jahre, nachdem Takeshi Kovacs (Anthony Mackie, Joel Kinnaman) ins Leben zurückgeholt wurde und den Mord an Lauren Bancroft (James Purefoy) aufgeklärt hat. Wieder einmal muss der Söldner gegen seinen Willen für einen Methusalem, kurz Meth, tätig werden, der um sein unsterbliches Leben fürchtet. In der Welt von Altered Carbon ist die Psyche des Menschen digitalisiert und Körper sind für den, der es sich leisten kann, zur Austauschware geworden. In Anlehnung an die biblische Figur des Methusalem sind Meths also Menschen, die es sich leisten können, über die Jahrhunderte hinweg ihren Körper durch Klone zu erneuern. Noch ein Vorteil so einer digitalisierten Psyche: Menschen können in Nullkommanix durch das Weltall transferiert werden. Derart verschlägt es Kovacs auf seine Heimatwelt zurück – auf Harlan’s World, wo er vor rund 300 Jahren geboren wurde. Doch als er dort in seinem neuen Körper ankommt, ist der Meth, der ihn angeheuert hat, bereits tot. Offenbar ist ein Killer unterwegs, der über eine Waffe verfügt, die sogar die Backup-Systeme der Meths zerstören kann und sie in den endgültigen Tod stößt. Wenn Kovacs verhindern will, dass ihm der Mord angehängt wird, muss er den Killer finden.

Staffel 2 führt zu Kovacs Ursprüngen

AC2 2Die zweite Staffel von Altered Carbon taucht erneut tief in die Vergangenheit des Protagonisten Takeshi Kovacs ein, der seine einstige Geliebte Quellcrist Falconer (Renée Elise Goldsberry) wiedertrifft, die die Digitalisierung der menschlichen Psyche erst erfunden und später als Anführerin eines terroristischen Widerstands dagegen gekämpft hat. Kovacs stößt auch erneut auf die verhasste Vaterfigur Jaeger (Daniel Bernhardt/Torben Liebrecht), die ihn von Kindesbeinen an zur Kampfmaschine ausgebildet und seine Schwester Reileen (Dichen Lachman) an die Yakuza verkauft hat. Trotz dieser schicksalshaften Begegnungen ist die Geschichte weniger melancholisch als die erste, denn Kovacs ist schon seit einigen Jahrzehnten wieder als Söldner unterwegs und hat den Schock, seit etwa 250 Jahren auf Eis gelegen zu haben, mittlerweile verdaut. Auch philosophisch geht die Serie nicht mehr so tief. Sie verzichtet auf den ursprünglichen, eher klassischen Cyberpunk-Flair und die dahinterstehende Frage, was in einem ungebremsten, von Megakonzernen und Superreichen beherrschten Kapitalismus mit Seele und Körper des Menschen passiert, wenn diese zur Ware geworden sind.

AC2 4Dafür punktet die zweite Staffel mit interessanten und glaubwürdigen Figuren sowie einer ausgeklügelten Handlung, die noch einmal viel aus dem Grundproblem der digitalisierten Psyche herausholt. Dazu ein Beispiel: Jaeger, der es nie verkraftet hat, dass sich sein Ziehsohn von ihm abgewendet hat, reaktiviert illegalerweise eine Kopie von Kovacs‘ Psyche (Will Yun Lee), die aus einer Zeit vor seiner Abkehr von Jaeger stammt, und schickt sie gegen Kovacs in den Kampf. Kämpfe mit Doppelgängern sind nun nichts Neues. Toll wird diese Wendung erst, weil sich die Serie die Zeit nimmt, um zu erzählen, ob sich die Kopie von Kovacs durch ihren Mentor wird instrumentalisieren lassen oder ob diese sich abermals gegen ihn entscheidet. Wiederholt sich die Geschichte oder ist die kopierte Seele ein neuer Mensch, der sich heute anders entscheiden wird, als es das Original früher getan hat?

Auch toll ist, dass der künstlichen Intelligenz in Gestalt des holografischen Hoteliers Poe (Chris Conner) mehr Zeit eingeräumt wird: denn Poes Persönlichkeit fragmentiert so langsam nach der jahrzehntelangen Tour durch die Galaxis an der Seite von Kovacs. Doch ein Reboot seines Systems würde bedeuten, dass er all seine Erinnerungen an diese Zeit einbüßen würde – ein hoher Preis, weshalb er zögert und Kovacs mit seinen Fehlfunktionen in die Bredouille reitet.

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Romanvorlage gewann 2003 den Philip K. Dick Award

2002 erschien Richard Morgans Future-Noir-Roman Altered Carbon und prompt gewann der Autor im Folgejahr den Philip K. Dick Award, woraufhin der Roman 2004 im deutschen Sprachraum unter dem Titel Das Unsterblichkeitsprogramm veröffentlicht wurde. Mittlerweile ist aus dem Roman eine Trilogie geworden, die marketingtechnisch eng mit der Netflix-Serie verzahnt ist, aber eigentlich eine eigene Version von Kovacs‘ Geschichte liefert. Neben der Fernsehserie gibt es mittlerweile auch den Animationsfilm Altered Carbon: Resleeved. Aus Kostengründen wird es nach derzeitigen Medienberichten dennoch keine dritte Staffel mehr geben.

Fazit: Staffel 2 ist anders und sehenswert

Hat es eine zweite Staffel von Altered Carbon – Das Unsterblickeitsprogramm gebraucht? Auf den ersten Blick nicht. Aber wie immer kann noch ein bisschen mehr über eine Storyworld und ihre Helden erzählt werden. Oft genug verkommt das zu einer bloßen Farce. In diesem Fall gelingt es. Aber Achtung: Die Geschichte hat einen anderen Drive als in der ersten Staffel. Weniger philosophisch, weniger melancholisch, aber nach wie vor spannend erzählt, actiongeladen präsentiert und von interessanten Figuren vorangetrieben. Genau richtig für die, die jetzt einen Cyberpunk-Kick brauchen.

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Trailer zu Altered Carbon, Staffel 2

 

Infokasten

„Altered Carbon: Das Unsterblichkeitsprogramm“, Staffel 2 (OT: Altered Carbon)

Schöpfer: Laeta Kalogridis

Regie: Diverse

Drehbuch: Laeta Kalogridis, Richard Morgan u.a.

Romanvorlage: Richard Morgan

Laufzeit: ca. 60 Minuten / 2 Staffeln à 10 und 8 Folgen

Produzent: Mythology Entertainment, Skydance Television

Verleih: Netflix

USA | 2020

Veröffentlichung 02. Februar 2020 (Streaming bei Netflix)

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Letzte Änderung amSamstag, 15 Mai 2021 11:52
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

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