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„Shrew’s Nest“ von Juanfer Andrés und Estaban Roel

Filmplakat (Ausschnitt) Filmplakat (Ausschnitt)

Intensives Kammerspiel des Grauens mit bluttriefendem Finale

Zu Recht hat Shrew’s Nest den ersten Platz im Wettbewerb um den Publikumspreis des Fantasy Filmfestes gemacht, viel zu dicht gefolgt von dem überschätzten Crowd-Pleaser Turbo Kid. Denn das Regiedebüt von Juanfer Andrés und Estaban Roel ist ohne Frage ein Meisterwerk, das auf der engen Bühne einer Wohnung im Mehrfamilienhaus einen Horror-Thriller um Sadismus, Misshandlung und Wahnsinn entfacht.

Shrews Nest 1In jener Wohnung, die noch zum Schauplatz eines blutigen Kammerspiels werden soll, lebt gemeinsam mit ihrer viel jüngeren Schwester die verbitterte Montse (Macarena Gómez), die seit zwei Jahren keinen Schritt mehr vor die Tür gewagt hat. Die Außenwelt ängstigt sie, genauso wie Männer im Allgemeinen, die nichts als Unheil bringen – so wie ihr Vater, der sie nicht nur misshandelte. Auch ihr Selbstbewusstsein zermarterte er mit kaltblütiger Genauigkeit. Immer wieder tritt der Mann, seit Jahren schon verschwunden, als Wahnvorstellung vor Montses Augen und verwickelt seine Tochter in Dialoge, die sehr genau illustrieren, welch bleibenden Schaden dieser Mann hinterlassen hat. Die unerbittliche, stets sadistische Vaterfigur wird großartig von Luis Tosar verkörpert, den man schon als gefühllosen Stalker aus Tight Sleep kennt. Ebenso enorm ist Macarena Gómez‘ schauspielerische Leistung: Montses Zerrissenheit zwischen Wahn, Leid und der Liebe für ihre Schwester La Niña (Nadia de Santiago), die sie für ihr Anbandeln mit einem jungen Mann mit dem Stock züchtigt – natürlich nur zu ihrem Besten… Das Zusammenleben der Schwestern, das ohnehin von dem frühen Tod der Mutter und einem gewalttätigen Vater überschattet ist, eskaliert schließlich, als Montse den schwerverletzten Carlos (Hugo Silva) vor ihrer Haustür vorfindet und ihn kurzerhand im Gästezimmer einquartiert.

Shrew’s Nest entfaltet auf geringem Raum, mit kleinem Figureninventar und über zwei Zeitebenen hinweg, die sich auf der Bildebene fantastisch ineinander faltet, eine unglaubliche Intensität, die eindeutig das Ergebnis einer grandiosen, vielschichtigen Charakterzeichnung im Zusammenspiel mit einer wendungsreichen, fein abgestimmten Dramaturgie und bemerkenswert guter Performance der Schauspieler ist. Shrew’s Nest ist spanisches Horrorkino at its best mit bluttriefendem, dennoch glaubwürdigen und unerwartetem Finale!

Letzte Änderung amDienstag, 05 September 2017 14:19
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten. Das klingt geistreich oder vielleicht zugespitzt. Aber es ist mir ganz ernst damit, es ist nicht eine witzige Formel. Der Mensch, der krank ist, der zeigt, daß bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, daß sie in Konflikt kommen mit den Mustern der Kultur und daß sie dadurch, durch diese Friktion, Symptome erzeugen. […] sehr viele Menschen, das heißt, die Normalen, sind so angepaßt, die haben so alles, was ihr eigen ist, verlassen, die sind so entfremdet, so instrumente-, so roboterhaft geworden, daß sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden.“

– Erich Fromm

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