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Film

Surreal auf die Fresse: „Brawl in Cell Block 99“

Filmausschnitt Square One Entertainment Filmausschnitt

In seiner zweiten Regiearbeit lädt S. Craig Zahler die Zuschauer ein, dem Leidensweg eines Mannes zu folgen, der aus Liebe einen Fehler begeht.

Rezension

Bradley Thomas (Vince Vaughn) hat im Leben gelernt, sein Schicksal zu akzeptieren und sich allen Herausforderungen entgegenzustellen. Als er seinen Job verliert und dann herausfindet, dass seine Frau Lauren (Jennifer Carpenter) ein Verhältnis hat, ist dies kein allzu guter Tag im Leben von Bradley. Er löst die Probleme. Auf seine Art. Zuvor muss er jedoch etwas Dampf ablassen und beginnt, mit bloßen Händen, das Auto seiner Frau zu zerlegen. Anschließend gibt es ein klärendes Gespräch zwischen Bradley und Lauren. Sie beschließen nochmal neu anzufangen: ein weiteres Kind, ein größeres Haus und etwas Luxus – auch wenn das bedeutet, dass Bradley wieder als Drogenkurier für seinen Kumpel Gil (Marc Blucas) anheuern muss. Es folgt ein Zeitsprung.

Brawl99 1Nun ist Bradley ein gemachter Mann, er und seine Frau haben viel Geld, sie ist schwanger und eigentlich ist alles gut. Doch dann betritt eine erneute Störung des Alltags die Bühne, als Gil beschließt mit dem zwielichtigen Eleazar (Dion Mucciacito) Geschäfte zu machen. Dafür muss Bradley mit zwei von dessen Kurieren zusammenarbeiten, die jedoch nicht so clever und abgebrüht professionell erscheinen wie er. Das Ganze geht schief und Bradley landet im Gefängnis. Dann wird Lauren entführt und Bradley im Gefängnis von einem zwielichtigen Mann (Udo Kier) besucht, der ihn vor die Wahl stellt – bezahl den Verlust von Eleazar oder das ungeborene Kind im Mutterleib wird verstümmelt, sodass es als Krüppel auf die Welt kommt. Um seine Schuld zu begleichen, willigt Bradley ein, im Gefängnis einen Mord zu begehen. Doch dafür muss er zunächst in eine andere Anstalt verlegt werden.

Brawl99 2Ab diesem Punkt fügt sich Bradley in sein Schicksal. Um seine Frau zu retten, schreitet er fortan durch verschiedene Gefängnisse und Zellenblocks, eins grotesker als das andere. Wo der Film zu Beginn großen Wert darauf legt, möglichst realistisch bzw. der Wirklichkeit entnommen zu wirken, verändert sich die Inszenierung zunehmend. Der Film wird ins Surreale entrückt, wenn Bradley endlich im Zellenblock 99 des Hochsicherheitsgefängnisses ankommt. Dies mutet an wie die Katakomben unter einer mittelalterlichen Burg, Foltergerätschaften inklusive. Außerdem geht es hier nicht mehr um Bestrafung im eigentlichen Sinne einer Wiedereingliederung oder Sühne, es geht hier nur noch um Qualen und Leid. Die Gefängniszelle hat Glasscherben auf dem Boden, die Insassen werden mit Stromstößen gequält und alles scheint sich der Wirklichkeit zu entziehen. Hier ist ein Vergleich mit Dantes Göttliche Komödie möglich, wenn auch recht abstrakt. Das Surreale wird in Brawl in Cell Block 99 früh etabliert, doch es verschwindet immer wieder aus der Wahrnehmung. Erst als die Geschehnisse zunehmend unwahrscheinlicher werden – und in der Wechselwirkung auch unwirklicher – etabliert sich dies als Element der Inszenierung. Bereits das Zerlegen des Autos zu Beginn wirkt surreal, beinahe comichaft und erinnert an Street Fighter II.

Später sind es dann die Farbgestaltung und das zunehmend unwahrscheinlicher werdende Potpourri von mittelalterlichen und aktuellen Gefängnisdarstellungen, was den Film aus dem wirklichkeitsnachempfindenden in einen mindestens surrealen stellt. In dieser Hinsicht ist Brawl in Cell Block 99 eine Herausforderung, bei der so mancher aussteigt – ein Phänomen, das im vergangenen Jahr bei dem Film mother! beobachtet werden konnte.

Trotz einer Länge von mehr als zwei Stunden und unzähligen Wechseln von Schauplätzen sowie Nebenfiguren ist Brawl in Cell Block 99 angenehm kurzweilig. Mit einigen witzigen Momenten und heftigen Gewaltspitzen wird der Handlungsbogen immer wieder aufgelockert; besser beschrieben ist es jedoch als Element jener Dynamik, die diesem Film seine einzigartige Stimmung verleiht.

Trailer zu Brawl in Cell Block 99

Infokasten

„Brawl in Cell Block 99“

Regie: S. Craig Zahler

Drehbuch: S. Craig Zahler

Produktion: Assemble Media, Cinestate, Caliber Media

Laufzeit: 132 Minuten (uncut)

Verleih: Square One Entertainment/ Universum Film

USA 2017

Letzte Änderung amMontag, 11 Februar 2019 18:16
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„Der Traum ist ein zweites Leben. Ich habe nie ohne zu schaudern durch die Elfenbein- oder Horntore dringen können, die uns von der unsichtbaren Welt scheiden. Die ersten Augenblicke des Schlafes sind das Bild des Todes. Eine nebelhafte Erstarrung ergreift unsern Gedanken, und wir können den genauen Augenblick nicht feststellen, wo das Ich in einer andern Form die Tätigkeit des Daseins fortsetzt. Ein ungewisses unterirdisches Gewölbe erhellt sich allmählich und aus dem Schatten der Nacht lösen sich in ernster Unbeweglichkeit die bleichen Figuren, welche den Vorhof der Ewigkeit bewohnen. Dann nimmt das Bild Form an, eine neue Helligkeit erleuchtet diese Erscheinungen in wunderlichem Spiel: - es öffnet sich uns die Welt der Geister.“

– Gérard de Nerval in „Aurelia oder Der Traum und das Leben“

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