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Film

Und plötzlich alles anders: „Cross the Line“

Filmstill (Ausschnitt) Ascot Elite Entertainment Filmstill (Ausschnitt)

Cross the Line ist ein besonderer, intensiver und beklemmender Thriller höchster Güte, der aus einem engen Figurenensemble das Maximum an Spannung herausholt.

Rezension

CTL 2Nach dem Tod seines Vaters ist Dani (Mario Casas) das erste Mal in seinem Leben frei. Der schüchterne junge Mann hat seinen Vater über Jahre hinweg gepflegt, mit ihm zusammengelebt und sein Leben darauf ausgerichtet, seinem Vater zu helfen. Nebenher arbeitet er in einer Reiseagentur und wird von den Kollegen wie ein Fußabstreifer behandelt. Dani lebt, um zu dienen, so das Bild, das Regisseur David Victori von seinem Protagonisten zeichnet. Auch seine Schwester Laura (Elisabeth Larena) ist erfolgreich. Sie arbeitet als Anwältin und hat so viel zu tun, dass sie nicht zur Ruhe kommt. Einige Tage nach dem Tod von Danis und Lauras Vater kauft Laura für Dani ein Ticket für eine Weltreise. Davon hat Dani schon immer geträumt, doch die gelernte Rolle des Vernünftigen und Unterwürfigen steht ihm im Weg, dieses Geschenk anzunehmen und in der Folge die Fesseln der Wirklichkeit abzustreifen. Eines Abends begegnet Dani zufällig in einem Burgerladen Mila (Milena Smit), die von ihrem Date versetzt wurde. Mila hat eindeutig Interesse an dem schüchternen jungen Mann, der mit der Situation etwas überfordert wirkt. Doch an diesem Abend entscheidet Dani sich erstmals nicht den gelernten Mustern zu folgen, sondern stattdessen Mila. Die nun folgende Nacht wird Danis Leben für immer verändern.

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Durch den Einsatz von Steady-Cam platziert Regisseur David Victori die Kamera immer ganz dicht an seinen Figuren. In der Folge entsteht nicht nur eine starke Nähe zum Geschehen, sondern auch eine starke Nähe zu den Emotionen der Figuren. Da sowohl Mario Casas als auch Milena Smit überragend spielen, wirkt diese Nähe besonders stark. Obwohl der Film seinen Zuschauer*innen das Gefühl gibt, dass etwas mit Mila nicht stimmen kann oder etwas Bedrohliches von der jungen Frau auszugehen scheint, ist die konkrete Konfrontation dann doch sehr überraschend. Es sind viele Kleinigkeiten die Cross the Line zu einem besonderen Film machen, Details in Handlungen und Verhalten der Figuren. Durch die gegenübergestellten Milieus, denen die Figuren entstammen, entsteht zudem eine besondere Formung eines gesellschaftlichen Mikrokosmos. Hier kollidieren Saubermann und Femme Fatale nicht nur in den Figuren.

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CTL 3Immer wieder gibt es heftige Gewaltspitzen in Cross the Line. Der explizite Umgang mit Sexualität wird in dem Film nicht dämonisiert. Der Punkt, an dem es für den Protagonisten kein Zurück mehr gibt, ist intensiv gestaltet und hält eine Überraschung bereit. „Wir sind wilde Tiere“, sagt Mila zu Dani und führt weiter aus „die Starken fressen die Schwachen“. Am Beginn des Films wird Dani als schwach gezeigt. Die Veränderung der Persönlichkeit des Protagonisten ist in dem Film das zentrale dramaturgische Element. Am Ende steht eine veränderte Figur vor der Kamera. Die Schlussszene von Cross the Line besitzt das Potenzial, die Meinungen des Publikums zu spalten, doch die Ambivalenz, die nach den letzten intensiven Momenten des Films nachhallt, ist beeindruckend und beklemmend zugleich. In den letzten Sekunden von Cross the Line verändert sich auch die Deutbarkeit des Werkes erneut. Spätestens an diesem Punkt ist deutlich: Cross the Line ist kein gewöhnlicher Film, sondern eine intensive Protagonistenreise, die ins Extreme tendiert.

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Gelegentlich bekommt man Werke vorgelegt, bei denen erwartet man nicht viel und bekommt dann etwas Besonderes. Cross the Line ist ein solches Werk, das als Thriller beginnt, dann zunehmend zum Reality-Horror-Szenario wird, um final den Protagonisten vor eine alles verändernde Entscheidung zu stellen. Allerdings ist Cross the Line einer dieser Filme, auf die man sich bewusst einlassen muss, was bekanntlich eine Hürde für viele potenzielle Rezipient*innen darstellt. Vielleicht grade deshalb ist Cross the Line ein exzellenter Film.

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Trailer zu Cross the Line

Infokasten

„Cross the Line“ (OT: „No matarás“)

Regie: David Victori

Drehbuch: Jordi Vallejo, David Victor und Clara Viola

Produktion: Castelao Pictures, Castelao Productions, Crea SGR, Filmax, Generalitat de Catalunya - Departament de Cultura, Instituto de la Cinematografía y de las Artes Audiovisuales (ICAA), Movistar+, Radio Televisión Española (RTVE), Sin Retorno La Película, Televisió de Catalunya (TV3), Triodos Bank

Verleih: Ascot Elite

Laufzeit: 92 Minuten (uncut)

Spanien | 2020

Veröffentlichung: Ab dem 05.03.2021 auf DVD, Blu-ray und als Video-on-Demand verfügbar.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amMittwoch, 12 Mai 2021 11:59
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„If Pac-Man had affected us as kids, we'd all be running around in dark rooms, munching pills and listening to repetitive electronic music.“

– Marcus Brigstocke

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