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Gaming

Rückblick: „The Witcher 1“

Cover (Ausschnitt) CD Projekt Red Cover (Ausschnitt)

Genre-typisch werden Monster gejagt, Tränke getrunken, Erfahrungspunkte gesammelt. Alles nicht neu. Was also war so besonders am Vorgänger zu Assassins of Kings?

Retrospektive

Wo ist das Besondere?

Das Computer-Rollenspiel The Witcher bietet eine eher schlauchartige und begrenzte Spielwelt, die sich mit jedem neuen Spielkapitel um ein Areal mit Quests erweitert. Auf Charakterklassen wurde verzichtet und die Entwicklung der Spielfigur ist eher einfach gehalten. Mehrfach doppelt sie sich sogar: Was der Charakter für das Silberschwert gegen Monster erlernt, wird er für das Stahlschwert gegen Menschen ein zweites Mal lernen müssen. Das fächert sich jeweils noch in drei verschiedene Kampfstile auf: gegen starke, schnelle oder Widersacher in Gruppen. Das Problem: Es wird bei der Charakterentwicklung eine Spezialisierung suggeriert, die niemals stattfindet. Alle Kampftechniken werden gleichermaßen benötigt und bilden nur bedingt Varianten zueinander, über die der Spieler selbst entscheiden kann, wie er das Spiel zu Ende bringen will. Es ist keine Option, als Meister des Silberschwertes nur gegen Monster anzutreten. Die Story sieht anderes vor.

Das Kampfsystem

Die Mischung aus Action und Taktik bringt ein spannendes Kampfsystem hervor. Nach etwas Spielzeit wird aber klar: Es genügt oft, zur rechten Zeit das richtige Schwert in der Hand zu halten und den notwendigen Kampfstil aktiviert zu haben. In harten Auseinandersetzungen wird mit Zaubertränken und Klingengift je nach Monstertyp nachgewürzt. Trotzdem können die Kämpfe Spaß machen, weil manche Auseinandersetzungen ohne Kombination der Extras nicht zu schaffen sind. Sie fordern neben Tränken auch den geschickten Einsatz von Magie und Ausweichrollen. Die Kämpfe gefallen vor allem auch, weil sie schön choreografiert sind. Jeder Kampfstil macht optisch Sinn: Der Gruppenstil verfügt über zahlreiche Kreisschläge um den Charakter herum, sodass möglichst viele Gegner erwischt werden, und erinnert an Andrzej Sapkowskis Kampfbeschreibungen aus der literarischen Vorlage: den Romanen und Kurzgeschichten über den Hexer Geralt von Riva.

Einen großen Teil des Spiels macht das Kämpfen und Sammeln aus – wobei fast nur Kräuter in das Inventar gelangen. Sehr viele verschiedene Rüstungen gibt es nicht. Auch das Waffeninventar ist eher spärlich und oft unattraktiv. Zusatzwaffen wie Streitkolben sind zwar nett, doch inkompatibel mit den drei Kampfstilen. Damit sind Stahl- und Silberschwert einfach zu bevorzugen.

Das Besondere: Welt und Story

Eins muss gesagt werden: Das Gameplay von The Witcher macht Spaß. Denn ohne das ist die beste Story hinüber und auch wenn die das Besondere dieses Spieletitels ausmacht, könnte sie nicht ohne das Kampfsystem überleben.

Der Protagonist Geralt von Riva ist als Hexer nichts Anderes als zahllos andere Fantasy-Helden auch: Er ist ein Monsterjäger – mit einem Unterschied: Er ist glaubhaft in die Geschicke der Welt eingebunden. Als wandernder Bestientöter lebt er von seiner Arbeit, hat seinen Ehrenkodex und muss sich immer wieder mit seinem Geschäft auseinandersetzen, sich neu in der Gesellschaft positionieren. Denn die Zeiten sind vorbei, in denen ein Hexer kurzerhand Monster tötet und gut. Ironischerweise könnte diese vergangene Zeit auch auf vorherige Rollenspiele bezogen werden, in denen stupide Ungeheuer aus den hinterletzten Winkeln eines Dungeons geprügelt werden. In The Witcher allerdings nimmt bereits die Zivilisation der Menschen überhand, verdrängt fleischfressende Monstren, magische Wesen wie Drachen und zuletzt sogar dem Menschen ebenbürtige vernunftbegabte Geschöpfe: die Elfen und Zwerge.

Das besondere Gameplay-Element: Zwischen den Fronten muss der Spieler als Geralt von Riva Entscheidungen treffen, die das Spielgeschehen beeinflussen. Dabei geht es nicht um so simple Fragen wie „Willst du die wehrlosen Kinder vor mordenden und brandschatzenden Räubern retten?“. Was soll man da schon antworten? In The Witcher ist es komplexer: Die Elfen werden gejagt und ihrer Heimat beraubt. Sie setzen sich zu Wehr mit Schwert und Feuer. Was in vielen anderen Fantasy-Geschichten zu einer heroischen Schlacht voll idealer Figuren und hochmütiger Gefühle wird, ist hier schlicht und einfach Terrorismus. Die Elfen töten die Menschen, die sie bedrohen. Die Menschen töten die Elfen, die sie ebenfalls bedrohen. Und Geralt von Riva ist Hexer und Hexer machen bekanntlich die Drecksarbeit. In diesem Durcheinander muss der Spieler sich entscheiden, um nicht zwischen den Fronten zermalmt zu werden.

Dass dies möglich ist, habe ich zumindest in einer Nebenquest erlebt: Es stellt sich heraus, dass ein Bordell von Vampiren bevölkert ist. Die untoten Frauen geben für etwas Blut ihre Schönheit zum Verkauf. Ein recht obskurer Versuch sich in die moderne Welt zu integrieren, mit dem aber alle Beteiligten einverstanden sind. Außer die Stadtwache, deren Anführer Patrick von Weyze der Bruder einer Prostituierten im Bordell ist. Die Schwester hat seltsame Male am Hals und galt bis dato als verschwunden. Der Wachoffizier verdächtigt die Untoten seiner Schwester Übles angetan zu haben und will sie als Monster gebrandmarkt vernichtet sehen. Und wieder: Ein Hexer macht bekanntlich die Drecksarbeit. Vampire sind auch nur Monster – oder etwa nicht? Stellt man es richtig an, dann wollen die Vampire und die Stadtwache Geralt an den Kragen.

Derart problematische Entscheidungen sehe ich als interessantes Gameplay-Element der Zukunft, bereits verschärft und weiterentwickelt von Titeln wie Mass Effect oder Heavy Rain.

Der Charakter Geralt von Riva sowie Sapkowskis gesamte Fantasy-Welt, die keine Schwarz-Weiß-Malerei kennt, haben den medialen Sprung von Buch zu Film aus meiner Sicht erstklassig vollzogen. Keines der beiden Medien verhält sich parasitär, wie es bei manchen Literaturverfilmungen geschehen ist. Nicht nur storytechnisch setzten Spiel und Roman einander fort, sondern auch in Motivik, Problematisierung von Moral und Grauzeichnung des menschlichen Lebens verschmelzen sie symbiotisch. Dass CD Projekt sich nahe an der literarischen Vorlage halten will, zeigt sich an vielen Stellen. Augenfällig wird es als erstes im Vorspann. Wenn man so will, ist der vorangeschobene Animationsfilm eine Literaturverfilmung innerhalb eines Computerspiels. Denn, was man dort sieht, ist eine gekonnte achtion-orientierte Kurzfassung der ersten Kurzgeschichte aus dem Band „Der letzte Wunsch“.

Letzte Änderung amSonntag, 28 Juni 2020 09:36
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

Because we don't know when we will die, we get to think of life as an inexhaustible well. Yet everything happens only a certain number of times, and a very small number really. How many more times will you remember a certain afternoon of your childhood, some afternoon that is so deeply a part of your being that you can't even conceive of your life without it? Perhaps four or five times more, perhaps not even that. How many more times will you watch the full moon rise? Perhaps twenty. And yet it all seems limitless.

– Paul Bowles, Autor von The Sheltering Sky

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