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Erzählungen

„Cheap Chops of Horror“ – Die Groschenheftchen des Grauens

Cover Patrick Peters Cover

Diese Horror-Anthologie geht, ohne Umwege über komplexe Narration oder Figurenzeichnung, direkt ans Eingemachte. Hier fließen Tränen, Blut und Sperma.

Rezension

Mitte des 14. Jahrhundert. Pater Sergio und seinen Kaplan Alessandro verbindet eine innige Leidenschaft, die sie nur insgeheim ausleben können. Allerdings ist das ihr geringstes Problem, als die beiden Geistlichen eine Schiffsreise antreten und Alessandro an Bord aus Neugier einen Köcher öffnet, den Sergio bei sich führt. Unwissend begibt sich der noch junge Mönch in die Gewalt uralter Dämonen, denen die Zwei sich fortan stellen müssen – bis zum bitteren Ende.

Die im Selbstverlag erschienene Anthologie Cheap Chops of Horror von Patrick Peters umfasst neben der hier knapp anskizzierten Kurzgeschichte über Sergio und Alessandro, Der neue Apostel, zehn weitere Texte. In episodenhafter Manier greifen sie altbekannte Themen und Motive des Horror-Genres auf. In Mean Man Milking Machine etwa kidnappt JerkyPerk23 sein angehimmeltes Internet-Camgirl, von dem er sich hintergangen fühlt. The Third Roommate erzählt von einem Stelldichein, das zufällig in einem heimgesuchten Hotelzimmer stattfindet. Whatsdeath ist die minutiös geplante Rache eines zu Schulzeiten Gepeinigten. In Charly, can you hear us? räumt ein Dämon gewordener Hausmeister mit selbstverliebten Grundschülern auf, während Terror Slate mit der Filmbranche abrechnet und den grotesken Dreh eines Horrorfilms schildert, der in Blutvergießen und Zerstörung mündet. Die Kurzgeschichte Man vs Dog schlüpft der Erzähler in die Perspektive eines Rudels aus Straßenhunden, die versehentlich Koks geschnüffelt haben und das kriminalitätsverseuchte Viertel im Blutrausch übernehmen. Front a la Carte katapultiert die Leser:innen in die Schützengräben der deutsch-französischen Stellungskämpfe während des ersten Weltkriegs und dort an die Seite eines Soldaten, der ob der erlebten Schrecken fast vergeht – bis er plötzlich Superkräfte entwickelt.

Es ist kein Makel auf bestehende Themen und Motive zurückzugreifen, vor allem dann nicht, wenn Künstler:innen es tun, um ihnen eine neue Wendung abzuringen und sie den Zeitgeist betreffend zu aktualisieren, im Sinne von Variation und Erneuerung des Althergebrachten. Das ist in der Kurzgeschichtensammlung von Patrick Peters nur bedingt der Fall, aber auch nicht zwingend intendiert. Der Autor liefert stattdessen schnellen, eher seichten Horror, der dennoch unterhaltsam und kurzweilig daherkommt. Damit das gelingt, braucht es gerade das Bekannte, das eingängiger ist als das Neue und Unbekannte. Man kriegt also, was schon auf dem Einband steht: „Cheap Chops“, nämlich billige Happen. Aber da die kurzen Erzählungen absichtsvoll billig sind und sich damit der Wertungskategorie ‚billig = schlecht‘ entziehen, lässt sich durchaus behaupten, das Bewusst-Billige dieses Bands sei sogar ziemlich gut gemacht.

Charly lächelte, als er die Schüler der Adenauer Grundschule panisch schreien hörte. Es war ein längst vergessenes Lächeln, ungewohnt für den alten Hausmeister. Und obwohl sich die Muskulatur in seinem Gesicht unbequem spannte, fühlte er sich gut. Fühlte sich bestätigt von dem abgrundtiefen Hass, der all die Jahre in ihm brannte und sich an dem Geschrei der Kinder nährte, die panisch gegen die verriegelten Türen hämmerten. – aus Charly, can you hear us

Die Ästhetik von Cheap Chops of Horror erinnert an B-Movies, Groschenromane und Penny Dreadfuls, was schon durch die Gestaltung des Einbands heraufbeschworen wird. Nicht umsonst zeigt das Cover Instrumente des Horrors, die eigentlich nur Werkzeuge an einer Backsteinwand sind. Aber Genrekenner wissen, wozu Äxte, Gartenscheren und Bolzenschneider fähig sind. In diesem speziellen Kontext erinnern sie fast automatisch an Folter und Verstümmelung, hingegen die Backsteinwand an einen Keller, in dem der Schrecken stattfindet. Markant prangt der Preis auf dem Cover. Zudem wird von Ausgabe gesprochen, als wäre der Band ein Heftchen, dem noch weitere folgen. Was laut Website der Anthologie auch der Fall sein wird. Dort gibt es die Kurzgeschichten auch einzeln. Für je 0,99 Euro. Da also haben wir den Penny Dreadful jetzt wirklich, aber als E-Book (oder E-Heftchen). In roter Schrift auf schwarzem Hintergrund warnt das Anthologie-Cover die potenziellen Käufer:innen und macht sie neugierig, verheißt im Zusammenhang mit den abgebildeten Werkzeugen ein Grauen, das faszinieren und erregen soll. „Warning“ steht da, was nicht zufällig englisch ist, sondern auf die Einflüsse des US-amerikanischen Horrors verweist, die in Patrick Peters Erzählungen deutlich spürbar sind. Bezeichnend ist daher auch, dass alle Kurzgeschichten mit Ausnahme von Der neue Apostel einen englischen Titel tragen.

In Cheap Chops of Horror versammelt sich vieles von dem, was gemeinhin als ‚schlechter Geschmack‘ gilt – mit Absicht in Anführungsstrichen geschrieben, da diese Anthologie die Vorzeichen von gut und schlecht umdreht. Hier splattern die Horrorsäfte, spritzen Blut und Sperma. Das Tabuisierte bricht sich Bahn: Gewalt und Sex werden offen ausgeschildert. „Zerplatzende Klassenkameraden besprühen die Kamera mit Blut. Und als das Handy aus der Drehung heraus ein letztes Mal den Boden filmt, ist von Sarah nicht mehr viel übrig.“ Die Sprache ist explizit, teils vulgär. „Wie gerne würde er sie mal richtig wegballern und ihre arrogante Art ins Nirvana vögeln.“ Sexualität wird nicht ausgeblendet, aber auch nicht realistisch nachgeformt, sondern in Geschlechterklischees wiedergegeben, die auf derbe Art und Weise amüsieren sollen.

Adam erkannte, dass sie förmlich danach schrie, für ihre vorlaute Art von hinten genommen zu werden, bis sich ihre Arschbacken lila verfärbten. Das kann sie haben, dachte Adam. Er stellte die Flasche auf dem Nachttisch ab und begann damit, sich zu entkleiden. – aus The Third Roommate

Das intendiert Unmoralische und die Explizitheit des Sexuellen, so wie in diesen politisch unkorrekten Kurzgeschichten, findet man selten in Mainstream-Unterhaltungsmedien. Darin liegt eine gewisse Kraft, die über das Unterhaltsame des Stereotypen aber nicht hinaus will. Ambivalenz in der Gestaltung des Geschehens und dem Seelenleben der Figuren sowie in der Haltung der Erzählstimme zum Geschilderten bleibt aus, sodass aus der Kraft keine Sprengkraft wird. Sie bleibt eingehegt von dem Genre, das sie umzäunt: vom Trash nämlich. Aus Szenen wie der obigen kann man deutlich sexuelle Gewalt gegen Frauen herauslesen, die sich versprachlicht hat. Aber es sind die Figuren, die derart denken und handeln, nicht der Autor. Wichtige Unterscheidung, zumal der Erzählband auch starke Frauenfiguren vorführt. Mit vielen der unmoralischen Figuren wird zum Schluss zudem abgerechnet. So bleibt die poetische Gerechtigkeit hin und wieder gewahrt. Aber wie so oft wird das Böse nie ganz besiegt.

Die zwei übriggebliebenen Franzosen sanken flehend vor mir auf die Knie. Einer von ihnen hielt mir ein abgegriffenes Foto hin. Zwei wirklich süße Kinder waren darauf zu sehen. Meine Faust schoss durch sein Gesicht und kam an seinem Nacken wieder heraus. Dann schleuderte ich den toten Mann ins Niemandsland. – aus Front a la Carte

Sprachlich präsentiert sich die Anthologie sehr reduziert. Natürlich ist das passend. Aber die teils überbordenden Schrecken können so nicht von der sprachlichen Gestaltung aufgefangen werden. Man könnte auch sagen, dass der Sprache passagenweise die Literarizität fehlt, eine Ausdrucksweise also, die uns erkennen lässt, dass wir Literatur vor uns haben und nicht etwa ein Exposé, das einen ganz anderen Wortschatz verwendet. Über Zeichensetzungs- und Rechtschreibfehler sowie stilistische Unsicherheiten, die ab und an auftreten, muss man hinwegsehen können. Vermutlich sind sie dem Self-Publishing-Prozess geschuldet. Davon abgesehen, merkt man den Kurzgeschichten dennoch das Potenzial an, das in Patrick Peters steckt, der hauptberuflich als Regieassistent arbeitet und dem man nur wünschen kann, auch mal einen Kurzfilm im Horror-Genre realisieren zu dürfen. Bei dem deutschen Zombiefilm Extinction: The G.M.O. Chronicles hat der Filmemacher ja bereits als Regieassistent mitgearbeitet.

Die Anthologie Cheap Chops of Horror ist eine kurzweilige Lektüre für Horror-Fans, die sich an einer absichtsvoll billigen, auf Unterhaltsamkeit ausgerichteten Trash-Ästhetik erfreuen. Denn die Cheap Chops von Patrick Peters halten sich nicht lange mit der Komplexität von Figuren und Plots auf, geschweige denn mit politischer Korrektheit, sondern gehen direkt ans Eingemachte – daher als Schlusswort die Gedanken des Regisseurs Greg aus Terror Slate, der sich über die Performance einer Schauspielerin freut, wiedergegeben in erlebter Rede durch den Erzähler: „Am liebsten hätte er seine Hose aufgerissen und jedem einzelnen lachend ins Gesicht gewichst.“

Wer sich einen Eindruck von der Anthologie machen will, kann sich die Hörbuch-Version der Kurzgeschichte Kill the bloody Ghosts auf YouTube anhören (Achtung, altersbeschränkt!).

Infokasten

„Cheap Chops of Horror“

Autor: Patrick Peters

Verlag: Im Selbstverlag erschienen

Deutschland | 2018

237 Seiten, Softcover

Veröffentlicht als E-Book und gedruckter Band

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amDonnerstag, 14 März 2019 08:06
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Das Grauen (seltener: der Graus) ist ein Substantiv der gehobenen Umgangssprache für ein gesteigertes Gefühl der Angst oder des Entsetzens, das meist mit der Wahrnehmung des Unheimlichen oder Übernatürlichen verknüpft ist. Es rührt sprachgeschichtlich vom mhd. grûwen, „Schauder“ her, welcher Begriff auch als Synonym verwendet wird.“

– Wikipedia

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