„Messer im Herz“ ein Neo-Giallo aus Frankreich
- geschrieben von Thomas Heuer
- Publiziert in Film
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Messer im Herz ist ein emotionaler Slasher im Milieu des Schwulenpornofilms in den späten 70er Jahren in Frankreich, ein ästhetischer Rausch und noch viel mehr.
Rezension
1979 treibt ein maskierter Killer sein Unwesen in Paris und macht gezielt Jagd auf Homosexuelle. Anne (Vanessa Paradis) ist eine Produzentin und Regisseurin von Schwulenpornos. Das erste Opfer des Mörders ist ein Darsteller aus ihrem Ensemble. Dem jungen Mann wurde mit einem Messer wiederholt ins Rektum gestochen, sodass dieser qualvoll verblutete. Parallel dazu zerbricht die Liebe von Anne und ihrer Partnerin Loïs (Kate Moran) nach zehnjährigem Bestehen. Anne will dies nicht hinnehmen und verliert sich im Alkohol. Die beiden Frauen scheinen sich immer noch zu lieben, es wirkt, als gäbe es eine Verbindung zwischen beiden, die sie immer wieder zueinander zieht.
Die Figurenzeichnung und die Verstrickungen der einzelnen Charaktere schaffen ein überaus interessantes Konstrukt von Verletzlichkeit, Tragik und Übermut. Als der Mörder erneut zuschlägt und einen weiteren Darsteller aus Annes Ensemble auf eine sexualisierte Weise, fast schon ritualhaft, ermordet, geraten Anne und ihr Team zunehmend unter Druck. Die findige Filmemacherin schmiedet den kühnen Plan, die Geschehnisse der Wirklichkeit in ihrem neuesten Film zu thematisieren.
Die Geschichte ist in diesem Film nicht ausschlaggebend. Es ist vielmehr die Kombination der eingefangenen Bilder, ihrer Anordnung in der Montage und die Präsenz der Darstellerinnen und Darsteller, die Messer im Herz zu einer einzigartigen Filmerfahrung machen. Der Film ist zweifellos tragisch, besitzt aber dennoch einige humoristische Momente. Dass Regisseur Yann Gonzalez die Kunst beherrscht, gezeigte Wirklichkeit mit phantastischen Elementen zu verquicken und daraus ein geschlossenes Werk zu schaffen, beweist er hier eindrucksvoll. Zwischen verlorener Romantik, dem Alltagsleben und der Bedrohung durch einen Killer webt der Filmemacher mythische Elemente in sein Werk ein. Die Übergänge werden hierbei bildhaft unterstützt; mal durch Negative, mal durch Farben, mal durch Nebel oder Weichzeichner. Dadurch gerät die lineare Erzählung zu einem Labyrinth voller Schrecken und Wunder. Vom Beginn, der eine Filmsequenz im Schnitt mit dem ersten Mord verbindet, bis hin zur wunderschönen Schlusssequenz im Abspann, ist Messer im Herz ein ästhetischer Rausch, voller Emotionen. Verletzlichkeit und Stärke, Tragik und Schmerz wirken, als ob sie hier über der Hauptfigur schweben, wie das Schwert des Damokles.
Wunderschöne Bilder und ein großartiger Schnitt sind bereits Grund genug, Messer im Herz von Yann Gonzalez als ästhetischen Glanzmoment des aktuellen Kinos zu feiern. Der Film bietet allerdings darüber hinaus sehr viel mehr und gehört eindeutig auf die große Leinwand. Trotz eines regulären Kinostarts wurde Messer im Herz diese Ehre jedoch nicht gänzlich zu Teil. Wenige Programmkinos zeigten das Werk hierzulande, das aufgrund des thematisierten Milieus ein breites Publikum abzustoßen scheint. In der Filmreihe Mondo Grindhouse – Filme für den abseitigen Geschmack wird der Film nun am 28.02.2020 erneut einmalig im Kino gezeigt. Dies gibt einen willkommenen Anlass, das Werk hier zu besprechen. Darüber hinaus werden bei der Veranstaltung zwei Kurzfilme gezeigt, die ebenfalls in unserem Magazin besprochen werden sollen: Das Lustschloß der Doktor Frankenstein von Peter Ahlers und Any virgin left alive von Bertrand Mandico.
Messer im Herz fordert seine Zuschauer zweifellos heraus. Eine Rezension kann sich nur auf Aspekte eines Werkes beziehen und somit nur Teilen eines solchen gerecht werden. Die Thematik des Gayporn und die daraus resultierende gesellschaftliche Relevanz wird hier nicht diskutiert, ebenso wenig die Gewaltakte und ihre Darstellungen oder was genau ein Neo-Giallo ist. Messer im Herz ist ein zu komplexes Werk, um dem Film hier in Gänze gerecht werden zu können. Daher fokussiert diese Rezension die Ästhetik und das Figurenensemble des Films. Messer im Herz ist nur in wenigen Momenten blutig, erinnert dabei aber zweifellos an Filme des italienischen Giallo-Genres.
Trailer zu Messer im Herz
Infokasten
„Messer im Herz“ (OT: „Un couteau dans le coeur“, AT: „Knife + Heart“)
Regie: Yann Gonzalez
Drehbuch: Yann Gonzalez, Cristiano Mangione
Produktion: CG Cinéma, Piano, Garidi Films, Arte France Cinéma, Radio Télévision Suisse
Verleih: Edition Salzgeber
Laufzeit: 102 Minuten (uncut)
Frankreich, Mexiko, Schweiz | 2018
Veröffentlichung: Der Film ist im Handel auf DVD und Blu-ray Disc erhältlich.
Kinovorführungen: 28.02.2020 Traum Kino Kiel um 22:30 Uhr als Teil der Reihe Mondo Grindhouse – Filme für den abseitigen Geschmack mit Fachvortrag und zwei Vorfilmen.
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Thomas Heuer
Dr. phil. Medienwissenschaft
Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer
Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie
Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik