„The Seasoning House" von Paul Hyett
- geschrieben von Thomas Heuer
- Publiziert in Film
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Ein Märchen aus der Hölle. Dieser anspruchsvolle Horrorfilm, der bei den Fantasy Filmfest Nights 2013 vorgestellt wurde, ist kontrovers, provokant und einzigartig.
Selten hat ein Film mich so berührt und schockiert, wie es bei The Seasoning House der Fall ist. Paul Hyett zeigt sich darüber im anschließenden Gespräch sehr erfreut. Dass der Film wie ein Märchen in einer Albtraumwelt wirkt, sei „exactly what it should feel like“. Der erfahren Make-up-Artist und Special-Effect-Designer ist seinen Fans vornehmlich durch die monströsen Schöpfungen bekannt, die in Filmen wie Cockney vs. Zombie, Comedown oder Attack the Block die Bedrohung darstellen. Sein Regiedebüt hingegen ist ein Film, der die Grausamkeit der Realität nutzt, um zu verdeutlichen, dass die grausamsten aller Monster auf dieser Welt die Menschen sein können. Eine durchaus treffende Definition für einen Film, der im Balkankrieg spielt, in einem Bordell, in dem kleine Mädchen zur Zwangsprostitution versklavt werden.
Nach dem sie Zeuge der Hinrichtung ihrer Mutter durch einige Soldaten wurde, wird die taubstumme Angel (Rosie Day) mit anderen Mädchen aus der Region verschleppt. Ihr neues Zuhause wird ein Seasoning House, ein Frontpuff der übelsten Sorte. Gerade mal geschlechtsreife Mädchen werden mit Drogen vollgepumpt und dazu gezwungen ihre Körper an unzählige Freier zu verkaufen. „In reality each girl at a seasoning house has to take up to thirty man per day“, äußerte Paul Hyett im Q&A nach der Vorführung. Diese gnadenlose Zahl an Freiern wird nicht dargestellt, was jedoch primär darin begründet ist, dass der Film sich um Angel dreht. Sie wird, anders als die anderen Mädchen aus ihrer Warenlieferung (hierbei sind die Mädchen die Ware) vom Bordellbetreiber Viktor (Kevin Howarth) dazu auserkoren alle Zwangsprostituierten für die Freier vorzubereiten. Zu Angels Aufgaben gehören fortan neben Kochen und Waschen das Spritzen der Drogen. Dabei geht sie zunächst kaltherzig wirkend an ihre Aufgabe heran, wohl wissend, dass bei Ungehorsam Gewalt droht. Mit einer der Sklavinnen freundet Angel sich jedoch an, da diese die Gebärdensprache beherrscht.
Unterdessen findet Angel immer mehr Wege durch das Haus. Die Böden und Wände sind hohl, damit das Belüftungssystem funktioniert. Sie kriecht somit immer häufiger durch das Gemäuer und lernt dadurch viele Wege kennen, die Viktor und seinen Schergen unbekannt sind. Als genau die Gruppe Soldaten im Seasoning House auftaucht, die Angels Mutter getötet und sie selbst an diesen Ort verkauft haben, sinnt Angel ausschließlich nach Rache.
Enge ist das zentrale Thema in The Seasoning House. Die Schächte und Gänge, durch die sich Angel zwängt, stehen genauso für dieses Thema wie die Soldaten, die mit Viktor eine persönliche Rechnung offen haben. Dadurch wird der Film zunehmend intensiver. Es gibt kein Entkommen aus dieser Hölle, die laut Hyett auf jedem Kontinent dieser Welt hätte spielen können. Den Balkan als eine unklare Region zu wählen erschien sinnvoll, um nicht mit dem Finger auf ein bestimmtes Land zu zeigen und dessen Bevölkerung zu diffamieren, so Hyett weiter. Im anschließenden Gespräch machte er deutlich, dass in seinem Film das Gefühl von Ausweglosigkeit ebenfalls von Bedeutung sei. Das wird deutlich, nachdem Angel den ersten der Soldaten in blindwütigem Eifer tötet. Die verblieben Soldaten beginnen damit, das Gebäude systematisch abzuriegeln und Angel auszuräuchern. Zu keinem Zeitpunkt macht der Film es einem leicht ihn anzusehen. Die realistischen Effekte von Verletzungen und Tod sind ebenso schrecklich wie stimmungsvoll. Ein unauffälliger, aber sehr passender Soundtrack sorgt für den finalen Akzent, der dafür sorgt, dass The Seasoning House einem die Luftröhre zuschnürt. Schnell wird klar, der Film versucht nicht den Spagat zwischen Kriegsverarbeitung und Horrorfilm zu gehen. Vielmehr erschafft Hyett eine fiktionale Welt vor einem realen Hintergrund. Dabei ist es ihm gelungen einen Albtraum zu erschaffen, aus dem es kein Erwachen gibt.
The Seasoning House lässt sich wie ein schreckliches Märchen lesen. Teilweise erinnert man sich an Pan’s Labyrinth, doch bei The Seasoning House ist neben dem Krieg keine Flucht in eine offensichtliche Phantasiewelt möglich. Anders als bei Pan’s Labyrinth gibt es keine übernatürlichen Kreaturen und Schrecken. Im Seasoning House werden die Monster dort manifestiert, wo sie zweifellos leben: in den Menschen.
The Seasoning House Internetseite
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Trailer zu The Seasoning House
Infokasten
„The Seasoning House“
Regie: Paul Hyett
Drehbuch: Paul Hyett, Conal Palmer, Adrian Rigelsford, Helen Solomon (Idee)
Produktion: Sterling Pictures
Verleih: Capelight
Laufzeit: 90 Minuten (uncut)
UK 2012
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Thomas Heuer
Dr. phil. Medienwissenschaft
Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer
Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie
Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik