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Serie

„Ad Vitam – In alle Ewigkeit“ – Etwas stimmt nicht mit der Jugend

Filmszene (Ausschnitt) ARTE F Filmszene (Ausschnitt)

Die Krimi-Serie Ad Vitam erzählt von einer Welt ohne Tod, in der die Jugend unter Sinnverlust leidet. Ein kritischer Blick auf die Unsterblichkeitsphantasien der technokratischen Moderne.

Rezension (leichte Spoiler)

ad vitam 1Der Geburtstag des ältesten Menschen, sein 169. Jahrestag, ist ein internationaler Feiertag, den die Welt gerade ausgelassen begeht, als in den Wassern vor der atlantischen Küste Frankreichs sieben Jugendliche tot aufgefunden werden. Das ist eine Tragödie, weil sieben junge Leben offenbar aufgrund eines kollektiven Selbstmordes beendet wurden, aber auch ein Skandal, der Wogen schlägt. Zu sehr erinnert das Ereignis an die Selbstmordwellen vor rund zehn Jahren, damals begonnen mit zwanzig Teenagern, die sich in einem Stadion erschossen, um gegen die Unsterblichkeit zu protestieren. Die Menschheit hat den Traum vom ewigen Leben mittlerweile realisiert, durch technischen Fortschritt auf Basis der Regenerationskraft einer sonderbaren Quallenart. Seither können die Menschen ihren Körper durch einen Prozess erneuern, der gemeinhin einfach Regeneration heißt und verbrieftes Menschenrecht geworden ist. Überhundertjährige mit dem Antlitz von Vierzigjährigen sind keine Seltenheit. Gestraft sind allerdings jene, die für untauglich erklärt werden, Frauen und Männer, bei denen die Regeneration unmöglich ist, so wie im Allgemeinen bei noch sehr jungen Menschen, da deren Zellen unvorhergesehene Mutationen erleiden würden. Folglich, um das Menschenrecht auf Regeneration durchzusetzen, wurde die Volljährigkeit auf das dreißigste Lebensjahr heraufgesetzt, wenn der Körper für die Ewigkeit bereit ist. Bis dahin heißt es auf die Unsterblichkeit warten und auch auf das Leben selbst, zumindest in gewisser Weise, da die Minderjährigen angehalten sind, ihren Körper zu schonen, um möglichst nicht für untauglich erklärt zu werden.

Darius Asram (Yvan Attal) ist über hundert Jahre alt und, wo andere längst drei Umschulungen gemacht hätten, ist er in seinem Leben nie etwas anderes als Kommissar gewesen. Er ist es auch, der in dem Fall der sieben vermeintlichen Selbstmorde ermitteln soll. Zu diesem Zweck holt sich Darius die rebellische Jugendliche Christa Novak (Garance Marillier) ins Team. Als 15-Jährige hatte sie zu dem Netzwerk der Selbstmörder gehört, ist aber mit dem Leben davongekommen und wohnt seitdem in einem Jugendheim. Noch immer prägt die schweigsame junge Frau eine Anti-Haltung gegenüber der Gesellschaft, insbesondere ihren Eltern. Falls es sich bewahrheitet, dass die sieben Todesfälle eine Wiederkehr der als terroristisch eingestuften Selbstmordbewegung markieren, könnte Christa Novak womöglich der Schlüssel zu dieser Szene sein und Darius Asram auf die Spur der Verantwortlichen bringen.

ad vitam 2Die sechsteilige Fernsehserie Ad Vitam, die bis zum 7. Dezember im Internetangebot von Arte verfügbar ist, erzählt ruhig. Lange Einstellungen zeigen die Figuren und ihr Tun, vor allem aber ihre Mimik, ohne dass viel geredet wird. Und werden doch einmal Worte gewechselt, so betrifft die Rede meist die konkreten Ermittlungen. In dieser Weise ist Ad Vitam eine typische Kriminalgeschichte, deren Fokus auf dem Fortgang der Handlung liegt und die Figuren sowie ihre Beziehungen zueinander im Nebenher ausformuliert. Abgesehen von der Unsterblichkeitstechnologie und den allgegenwärtigen, sacht summenden Elektrofahrzeugen wirkt die Erzählwelt von Ad vitam wie die unsrige. Die Serie strebt nicht den Entwurf einer fernen Zukunft an, wie etwa der Kinofilm Blade Runner 2049, sondern kreist vielmehr um ein spezifisches Thema, das oft der Science-Fiction zugeschrieben wird: das Thema des ewigen Lebens mit seinen individuellen wie auch gesellschaftlichen, philosophischen und insbesondere religiösen Aspekten und Konsequenzen. Die Kriminalgeschichte, die gegen Ende in spannungssteigernder Weise Erzählelemente eines Thrillers aufnimmt, ist hierbei nur das Vehikel, um die Thematik schlaglichtartig zu beleuchten.

Mit Recht kann man fragen, welche Rolle die Jugend in einer unsterblichen Gesellschaft einnimmt. Was wird aus einem Menschen, der den Tod nicht mehr kennt und der in der Langeweile der Ewigkeit womöglich der Dekadenz verfällt, immer auf Suche nach neuen und härteren Kicks, die in ihm das verlorene Lebensgefühl wiedererwecken sollen, ganz gleich, welchen Preis andere dafür zahlen mögen? Was geschieht mit der christlichen Jenseitsvorstellung, wenn Menschen niemals sterben? Und was ist mit dem Recht derer, die nach uns kämen, würden sie jemals geboren und nicht durch eine Geburtenkontrolle verhindert?

Einen gesonderten Blick wirft dieser Krimi auf die Eltern-Kind-Beziehung. Denn jedes in dieser Welt geborene Kind ist ein Kind für die Ewigkeit, womöglich ein Wunsch nach Veränderung, der für die ich-zentrierte Selbstentfaltung eines Individuums, das über die eisige Abgeklärtheit von 100 Jahren Lebenszeit verfügt, schließlich zum Bumerang werden könnte. In dieser Welt nämlich, das lässt einen die Serie so nebenbei wissen, ist die Haupttodesursache nicht mehr das Alter, sondern der Elternmord.

Die Fernsehserie Ad Vitam ist ein kurzweiliger, schnell geschauter Krimi mit Sci-Fi-Elementen, der, indem er die Extreme Selbstmord und Unsterblichkeit einander gegenüberstellt, von der Bedeutung des Todes erzählt, in einer Gesellschaft, in der das ewige Leben zum Standard geworden ist.

Trailer zu Ad Vitam

 

Infokasten

„Ad Vitam – In alle Ewigkeit“, Staffel 1 (OT: Ad Vitam)

Regie: Manuel Schapira, Thomas Cailley

Drehbuch: Thomas Cailley, Sébastien Mounier

Laufzeit: ca. 55 Minuten / 6 Folgen à 1 Staffeln

Produzent: Kelija, ARTE F

Frankreich | 2018

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Letzte Änderung amMontag, 11 Februar 2019 18:13
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Das Wort Kunst bezeichnet [...] im engeren Sinne Ergebnisse gezielter menschlicher Tätigkeit, die nicht eindeutig durch Funktionen festgelegt sind. Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selber sein.“

– Wikipedia

 

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