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Besprechungen

„Opera“. Argentos ästhetisches Meisterwerk

Collage aus Filmstills cultfilms, mellowdramatix Collage aus Filmstills

Opera von Dario Argento ist bildgewaltig, düster und in seiner Art einzigartig. Ein blutiger Kunstrausch, in dem Lust, Obsession und Gewalt entfesselt werden.

Aus der Mediengruft: Besprechung

Opera9Betty (Cristina Marsillach) ist die Zweitbesetzung für eine Neuinterpretation von Verdi’s Macbeth. Ein Horrorfilmregisseur wird mit der Inszenierung bedacht und nutzt die Gelegenheit, um eine Hommage an Hitchcock durchzuführen. Das Bühnenbild erinnert an eine Szene aus Die Vögel, allerdings sitzen hier nur Raben auf dem Klettergerüst. Als Signora Albertini (Barbara Cupisti), die Hauptdarstellerin, am Set von den Raben genervt ist und die Inszenierung als stupide verteufelt, marschiert diese ohne Umschweife aus dem Theater. Verfolgt von Journalisten und Fans betritt sie unachtsam die Straße und wird angefahren. Nun muss Betty einspringen, die sich selbst für nicht gut genug hält, um eine Hauptrolle zu verkörpern. Regisseur Marco (Ian Charleson) ist hingegen begeistert von Betty und versucht ihr die Angst so gut es geht zu nehmen. Ihr erster Auftritt wird ein riesiger Erfolg, doch dann gibt es einen weiteren Unfall.

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Betty ist hinter der Bühne, kurz vor ihrem ersten Auftritt. Die Kamera ist mitten im Trubel.

Opera11Diese Häufung von Unfällen bringt den Polizisten Inspector Alan Santini (Urbano Barberini) auf den Plan. Alan ist nicht nur der Ermittler, sondern zugleich auch ein großer Fan von Betty. Fortan macht ein maskierter Täter Jagd auf Betty und zwingt sie zu beobachten, wie Menschen auf brutale und möglichst blutige Art umgebracht werden. Das erste Opfer ist hierbei Stefano (William McNamara), Bettys Freund. Betty wird gefesselt und muss mitansehen, wie der Mörder Stefano auflauert. Der Täter klebt vor Bettys geöffnete Augen Nadeln, sodass sie ihre Augen nicht schließen kann. Das grausame Folterspiel wird sich im Verlauf des Films noch mehrfach wiederholen.

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Der typische Aufbau des Folterspiels in Opera. Betty wird gefesselt, ihre Augen werden so prepariert, dass Sie diese nicht schließen kann und sie muss mit ansehen wie jemand auf sehr blutige Art und Weise abgeschlachtet wird (von oben nach unten).

Opera3In Opera lässt Argento zwei Welten kollidieren. Zum einen die der Oper und zum anderen die des Giallo[i], also eines bluttriefenden Werkes des Schreckens. Was zunächst wie ein weiterer Deutungsansatz von Das Phantom der Oper beginnt, entwickelt sich nach nur wenigen Minuten zu einem selbstständigen Werk, das ästhetisch über fast allem steht, was es bis zu diesem Zeitpunkt an Schreckensinszenierung gegeben hat. Hier wird nicht nur radikal mit Farben und Perspektiven gearbeitet, nein Opera macht vieles ganz anders als alle Filme zuvor. Mit einer frei im Raum bewegten Kamera wurde zwar bereits zuvor im Film gearbeitet[ii], aber nicht so viel und nicht so intensiv wie bei Opera. Als eines der ersten filmischen Werke, das mit einer entfesselten Kamera inszeniert, die Mitten im Geschehen ist, zeichnet sich Opera allein dadurch schon aus. Auch wie hier die Gewalt zum ästhetischen Element gemacht wird, ist etwas Besonderes. Dabei entwickelt sich die Brutalität zu einem intensiven Folterspiel eines Psychopathen, der Betty leiden sehen will. Besonders gelungen ist bei Opera auch die Rückkopplung der Gewalt in der Erzählung des Werkes. Hier ergibt sich nach und nach ein Sinn hinter den augenscheinlich emotionslosen Gewaltakten und schafft es dabei, die Wirkung der Schrecken noch zu steigern.

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Betty: Zwischen Furcht und Lust.

Im Kino der Traum GmbH (früher Traumfabrik) in Kiel hat die Filmreihe Mondo Grindhouse – Filme für den abseitigen Geschmack ihr Zuhause. Im Zuge dieser Reihe wird am 24. April 2019 Opera noch einmal auf einer großen Leinwand zu sehen sein. Wer lokal ansässig ist, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Opera ist vielleicht der beste Film von Dario Argento, wenn auch nicht sein bekanntestes Werk. Die Gewalt wird in diesem Film als Akt der Kunst und Lust inszeniert. Dem entgegen steht die Kunstwelt der Oper, in der sich alles an Regeln und Konventionen zu halten hat. Hierbei verarbeitet Argento auch, dass er als Regisseur einer Oper gefeuert wurde, weil sein Ansatz zu extravagant gewesen sei (Argento im Interview mit cultfilms). Zudem nutzt Argento den Film, um einige Hommagen an bedeutende Werke der Kunst zu schaffen (als Beispiele: Die Vögel von Hitchcock und Das Phantom der Oper von Gaston Leroux).

Quellen

Argento, Dario im Interview mit cultfilms (2018) Enthalten auf der Blu-ray-Disc der britischen 2k-Restaurations-Fassung von OPERA von cultfilms.
Koven, Mikel J. (2006): La Dolce Morte. Vernacular Cinema and the Italian Giallo Film. Lanham: Scarecrow Press.
Scheinpflug, Peter (2014): Formelkino. Medienwissenschaftliche Perspektiven auf die Genre-Theorie und den Giallo. Abridged and revised thesis (doctoral) - Universität, Köln, 2013. Bielefeld: transcript (Film (Transcript (Firm))).

Endnoten

[i] „Giallo“ ist zunächst das italienische Wort für die Farbe „gelb“. Ursprünglich erschienen ab den 1920ern Romane mit einem gelben Einband, die Thriller und Mystery-Geschichten enthielten, die aus dem Englischen ins Italienische übersetzt wurden (beispielsweise Werke von Arthur Conan Doyle, Agatha Christie oder Edgar Wallace) (Koven 2006: 2) Ein Giallo als Film ist ein in Italien entstandenes Subgenre des Thrillers. Allerdings kann man Giallo ebenfalls als italienisches Horrorsubgenre bezeichnen, da es besonders blutig ist und explizite Tötungsszenen inszeniert. Dieses Subgenre dominiert den italienischen Horrorfilm der späten Siebziger und den der Achtziger in Italien. Begründer des Giallo ist Mario Bava in den Sechzigern. Bekannte Werke sind beispielsweise Blutige Seide (1964, Mario Bava), Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe (1970, Dario Argentos Filmdebüt), Die sieben schwarzen Noten (1977, Lucio Fulci) oder Die Nacht der rollenden Köpfe (1973, Maurizio Pradeaux). Ein neuerer Vertreter des Genres ist der Film Tulpa aus dem Jahr 2012. Seine Hochzeit hatte der Giallo etwa parallel zum Slasher in den USA von 1978 bis 1982. Laut Peter Scheinpflug ist das Erzählmuster des Giallos in der Zeit von 1971 bis 1975 serialisiert: „In den 60er Jahren dominierte der italienische Gothic-Horror noch über den Giallo. In den 70er Jahren gehen die Produktionszahlen des Gothic-Horrors jedoch zurück, während die Produktionszahl der Gialli steigt. Der Zyklus […] kann als eine allegorische Verhandlung der zunehmenden Dominanz des Giallos über den Gothic-Horror zu Beginn der 70er Jahre gedeutet werden […]“ (Scheinpflug 2014: 122).

[ii] Beispielsweise in der Eröffnungssequenz von Carpenters Halloween (1978) oder in Hitchcocks Cocktail für eine Leiche (1948), doch hierbei sehr ruhig und wie in einer Theaterbühne bewegt. Opera nutzt die bewegte Kamera hingegen, um eine bisher ungekannte Nähe zu erzeugen und den Rezipierenden mitten ins Geschehen hineinzuversetzen. Dadurch unterscheidet sich die Ästhetik von Opera von anderen Werken dieser Art.

Trailer zu Opera

Infokasten

„Opera“ (AT: „Terror at the Opera“)

Regie: Dario Argento

Drehbuch: Dario Argento und Franco Ferrini

Produzent: ADC Films, Cecchi Gori Group Tiger Cinematografica und RAI Radiotelevisione Italiana

Verleih: drop-out-cinema (Kino), cultfilms (DVD, Blu-ray; UK)

Laufzeit: 107 Minuten (uncut)

Italien | 1987

Veröffentlichung: Im Handel auf DVD, Blu-ray-Disc und Video-on-Demand erhältlich.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amDienstag, 23 April 2019 11:27
Thomas Heuer

Dr. phil. Medienwissenschaft

Forscher, Fotograf, Filmemacher, Journalist, Gamer

Forschungsfelder: Immersionsmedien, Horror, vergleichende Mediendramaturgien, Game Studies, Medienethik und -philosophie

Abschlüsse: Medienwissenschaft M. A., Multimedia Production B. A., Facharbeiter Kommunikationselektronik

Unter anderem auch das . . .

„If Pac-Man had affected us as kids, we'd all be running around in dark rooms, munching pills and listening to repetitive electronic music.“

Marcus Brigstocke

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