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„Candymans Fluch“ (1992) – Die Ursprünge der Slasher-Ikone mit der Hakenhand

Filmszene (Ausschnitt) PolyGram Filmed Entertainment, Propaganda Films, Candyman Films Filmszene (Ausschnitt)

Mit Blick auf Nia DaCostas Neuadaption von Candyman lohnt sich eine Sichtung des Horrorklassikers aus dem Jahre 1992. Wie wurde der Hakenhandmörder damals gestaltet?

Besprechung | Interpretation (Skizze mit Spoilern)

Auf Themensuche für ihre Dissertation über urbane Legenden stoßen Helen Lyle (Virginia Madsen) und Bernadette Walsh (Kasi Lemmons) auf die Geschichte über einen Mörder mit Hakenhand, der Candyman genannt wird und der immer dann in Erscheinung tritt, wenn man seinen Namen fünfmal vor einem Spiegel ausspricht. Helen, die nicht an die Legende glaubt, macht sich einen Spaß daraus, die Beschwörungsformel aufzusagen. Ihr Unglauben scheint sich zunächst zu bestätigen. Nachdem Helen allerdings Nachforschungen zu den Ursprüngen des Candyman in einem verwahrlosten Viertel von Chicago angestellt hat, erscheint ihr der Mörder plötzlich in einem Parkhaus. Daraufhin wird sie ohnmächtig. Als sie aufwacht, findet sie sich blutüberströmt in einem fremden Badezimmer wieder. Eine Frau schreit im Nachbarzimmer. Ihr Baby ist verschwunden. Und ihrem Hund – einem stattlichen Dobermann – wurde brutal der Kopf abgeschlagen. Das ist der Beginn einer Mordserie, für die Helen alsbald von der Polizei verantwortlich gemacht wird, Helen, die fortan immer wieder von dem Mörder mit der Hakenhand heimgesucht wird.

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Helen erwacht nach ihrer ersten Begegnung mit dem Candyman in einem Blutbad.

Horrorikone mit düsterem Charisma

Der Film Candyman, im Deutschen Candymans Fluch[i], kam 1992 in die Kinos und geriet zu einem Klassiker des US-Amerikanischen Horrorfilms, dem die zwei Fortsetzungen Candyman: Farewell to the Flesh (1995) und Candyman: Day of the Dead (1999) folgten sowie 2021 eine hervorragende Neuadaption unter der Regie von Nia DaCosta. Der Killer mit der Hakenhand, in allen vier Filmen verkörpert von Tony Todd, ist ähnlich ikonisch geworden wie Freddy Krueger mit seinen Klingenhänden aus A Nightmare on Elm Street (1984) oder Michael Meyers mit seiner bleichen Maske aus Halloween (1978). Anders als diese antagonistischen Figuren trumpft der Candyman allerdings mit einem düsteren Charisma auf, das ihm im Slasher-Genre ein gewisses Alleinstellungsmerkmal verleiht. Candymans Fluch als lupenreinen Slasher zu beschreiben, wäre auch verfehlt. Der Film ist eher ein phantastischer Psycho-Thriller mit blutigen Kills, die noch heute gut aussehen. Das Geschehen ist zunächst sehr investigativ und ruhig. Der Candyman als Antagonist tritt erst Mitte des Films in Erscheinung. Ab da werden die Slasher-Elemente deutlicher und das Geschehen kippt ins Phantastische. Es kommt zu mehreren Begegnungen zwischen Helen und dem Candyman, die Tote nach sich ziehen und die psychische Verfassung der Protagonistin in Mitleidenschaft ziehen. Zwar steht außer Frage, dass der Candyman auf Ebene der filmischen Wirklichkeit existiert, doch da Helen zunehmend verrückter wird, fehlt ihr die Glaubwürdigkeit, den anderen Figuren das ohnehin Unglaubliche plausibel zu machen. Zu dem paranormalen Horror des Candyman gesellt sich so ein psychologischer Horror, dessen Griff immer fester wird.

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Die vom Candyman heimgesuchte Helen wird in die Psychiatrie eingeliefert und muss fixiert werden.

Die Ursprünge: Clive Barkers Kurzgeschichte The Forbidden

Die Handlung von Candymans Fluch, entstanden unter der Regie von Bernard Rose, beruht auf der Kurzgeschichte The Forbidden (1985) von Horror- und Phantastikautor Clive Barker. Die wesentlichen Stationen des Geschehens sind dieselben, abgesehen von den angeführten Slasher-Elementen, die die Handlung in der zweiten Hälfte strecken. Darüber hinaus ist die Geschichte von England in die USA verlagert worden und der für das Figurenensemble wichtige Gegensatz von Arm und Reich wurde um das Merkmalspaar Schwarz und Weiß ergänzt. Während die Helen aus The Forbidden für ihre Dissertation einen verwahrlosten und mit Graffiti übersprühten Wohnkomplex aufsucht, deren Bewohner als arm, sozial benachteiligt und bildungsfern markiert sind, wagt sich die Helen aus der Verfilmung in einen ähnlichen Gebäudekomplex in dem Chicagoer Wohnungsprojekt Cabrini-Green vor, in dem allerdings ausschließlich schwarze Menschen wohnen, mit denselben Merkmalen wie in der Kurzgeschichte. Dieser Wohnkomplex ist für beide Handlungen essenziell, denn hier liegen die Ursprünge des Candyman und hier ist er aktiv. Der Film übersetzt Arm und Reich jedoch nicht eins zu eins mit Schwarz und Weiß. Immer wieder werden schwarze Menschen auch in anderen Gesellschaftsschichten gezeigt, beispielsweise Helens Freundin Bernadette, die Doktorandin ist, oder der Polizeikommissar, der Helen verhört.

Dennoch bestimmt der gesellschaftlich geprägte Gegensatz von Schwarz und Weiß auch den Entstehungsmythos des Candyman, der als Sohn eines ehemaligen schwarzen Sklaven zu Geld gekommen war und sich in eine weiße Frau verliebte. Als diese von ihm schwanger wurde, ließ ihr Vater den unerwünschten Liebhaber von einer angeheuerten Meute zu Tode hetzen. Man verprügelte ihn, sägte ihm die rechte Hand ab und bestrich seinen Körper mit Honig, woraufhin aufgescheuchte Bienen ihn unzählige Male stachen, ohne dass ihm jemand zur Hilfe kam. Schließlich verbrannten die gedungenen Verfolger den Geschundenen. Candymans Entstehungsmythos folgt einer althergebrachten phantastischen Logik, der zufolge eine über alle Maße unmoralische Tat – eine Sünde, hätte man früher gesagt – nicht vergeben und vergessen werden kann. Bis die menschenverachtende Untat gesühnt wird, findet der Geist des Ermordeten keine Ruhe. Das Trauma, die Wunde besteht in phantastischer Weise fort, als Dämon, der durch fünfmaliges Nennen seines Namens gerufen wird und tötet.

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Das Graffiti, das den Candyman zeigt

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Helen entdeckt die Geschichte des Candyman an einer Wand.

Kritik an anti-schwarzem Rassismus

Spätestens jetzt ist die Botschaft eindeutig: Candymans Fluch will den historisch gewachsenen strukturellen anti-schwarzen Rassismus kritisieren, der 1992 in den USA existierte und der auch heute noch existiert, was die Menschenrechtsbewegung Black Lives Matter[ii] und ihre Anliegen mehr als veranschaulichen. Der Film übt seine Kritik relativ offen, jedoch nur im Nebenher. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt nicht auf dem Schrecken, der den Candyman hervorgebracht hat (Rassismus), sondern auf der spannungsvollen Auseinandersetzung der Hauptfigur Helen mit dem Dämon. Zudem wird der wesentliche Schrecken des Rassismus in die Vergangenheit verlagert und als Nachwehen der Sklaverei dargestellt. Zwar ist die Ungleichbehandlung von schwarzen und weißen Menschen in dem Film offenkundig und wird auch einmal direkt von Helen angesprochen, doch ein Schrecken, wie ihn der Candyman erleben musste, wird in der Gegenwart der filmischen Handlung nicht gezeigt. Eine solche Aktualisierung, Stichwort: Polizeigewalt mit Todesfolge, nimmt erst Nia DaCosta und ihr Autorenteam in der aktuellen Adaption des Erzählstoffes vor. Weiterhin verzichtet Candymans Fluch trotz der im Hintergrund des Antagonisten enthaltenen Rassismuskritik nicht auf eine weiße Hauptfigur, die als Akademikerin von außen in ein ihr fremdes Milieu vorstößt, um dort die Hintergründe einer urbanen Legende zu recherchieren, die auf das tragische Schicksal eines schwarzen Mannes (!) zurückgeht, ein Schicksal, das der Film stellvertretend für die Leidensgeschichte der schwarzen Community in den USA anführt. Dass sich dieser Leidensgeschichte im Rahmen der Candyman-Storyworld eine schwarze Person widmet, wird erst die 2021er Adaption ändern, in der Yahya Abdul-Mateen II die Hauptrolle übernimmt und als aufstrebender Maler auf Motivsuche der Geschichte des Mörders mit der Hakenhand nachspürt (mehr dazu in der Besprechung von Candyman (2021)).

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Der Candyman...

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...und seine Hakenhand

Der Serien- und Triebtäter mit der Hakenhand

Sowohl die beschriebene Kritik an anti-schwarzem Rassismus als auch die Werklogik von Candymans Fluch leiden unter der widersprüchlichen Motivation des Antagonisten. Wenn man die angeführte phantastische Logik berücksichtigt, verwundert es zunächst, warum der Dämon nur diejenigen tötet, die ihn beschwören. Das erscheint im Anbetracht der Hintergrundgeschichte willkürlich. Man könnte doch denken, der Candyman würde auf Rache sinnen und seine Gewalt gegen Weiße richten oder, selbst nicht dem Rassismus verfallen, gegen Unterdrücker und Mörder im Allgemeinen. Stattdessen hält er sich nicht einmal an die eigene Legende und tötet wahllos Personen, die ihm auf seiner Jagd nach Helen vor den Haken laufen. Als gegen Ende des Films eine Frauenzeichnung neben dem ikonischen Graffiti gezeigt wird, das den Candyman darstellen soll – das Graffiti-Motiv rührt noch von Barkers Kurzgeschichte her – verdeutlicht sich, dass es dem Dämon nicht um Vergeltung oder um das stupide Töten seiner Beschwörer geht, wie ihm die urbane Legende nachsagt. Nein, es geht ihm um Helen. Ihr kommt stellvertretend die Rolle jener weißen Frau zu, derentwegen Candyman gestorben ist. Sie will er töten, damit sie Teil seines Mythos wird – und um das zu erreichen, tötet er jeden, der ihm im Weg steht. Zieht man jetzt noch hinzu, dass in den Fortsetzungen Candyman: Farewell to the Flesh und Candyman: Day of the Dead abermals weiße Frauen die Hauptfiguren sind und diese abermals von Candyman heimgesucht werden, zeichnet sich ein verstörendes Gesamtbild. Der Dämon wird in seiner Handlungsweise weniger als Opfer von anti-schwarzen Rassismus dargestellt, wie sein Entstehungsmythos vorgibt, vielmehr erscheint er als traumatisierter Trieb- und Serientäter, der dazu verdammt ist, wieder und wieder einer Frau nachzustellen, die ihn an jene erste Liebe erinnert, derentwegen er überhaupt erst traumatisiert wurde. So gedeutet, bedient Candymans Fluch plötzlich den kruden Stereotyp des triebgesteuerten schwarzen Mannes, der einer unschuldigen weißen Frau nachstellt und sie bedroht. Dieser Stereotyp hat seine Ursprünge im anti-schwarzen Rassismus.

Um diese harsche Kritik noch abzuwenden, könnte man argumentieren, die Geister Verstorbener wiederholten oft die Traumata, die zu ihrem Tod geführt haben. Der Frauengeist aus dem Horrorfilm The Curse of La Llorona (2019) tötet beispielsweise Kinder, weil sie, bevor sie sich selbst ermordete, zu Lebzeiten ihre eigenen Kinder getötet hat, in der Absicht, so ihren untreuen Ehemann zu bestrafen. Der Candyman hat nichts dergleichen getan, nichts, was rechtfertigt, wieso er Helens Tod wünscht, außer eben, dass sie die Beschwörungsformel ausgesprochen hat. Und selbst dann könnte der Candyman kurzen Prozess mit Helen machen, stattdessen scharwenzelt er den gesamten Film um sie herum und bedrängt sie wie ein Stalker. Das hat etwas von düsterer Romantik, die für sich genommen nicht schlecht sein muss, im Kontext des Candyman-Entstehungsmythos aber unpassend erscheint. Man könnte meinen, die rassistischen Mörder von damals würden durch die Art und Weise, wie der Fluch des Candymans wirkt, moralisch bestätigt werden. Offenbar mussten sie tatsächlich die weiße Frau vor Candyman retten, denn im Nachleben erweist er sich ja als Stalker, der nicht einmal vor Kindesentführung zurückschreckt. Das ist sehr unstimmig und hat einen üblen Beigeschmack. Zum Glück hat die Neuadaption von 2021 diese Besessenheit Candymans von weißen Frauen einfach gestrichen. Einen ersten Schritt zu einer besser ausgefeilten Hintergrundgeschichte macht allerdings schon Candyman: Farewell to the Flesh. Die direkte Fortsetzung konzentriert sich auf die Erforschung des Entstehungsmythos und macht das tragische Schicksal des Candyman nicht nur emotional greifbar, sondern erklärt auch, woher die Beschwörungsformel stammt, was es mit dem Spiegel auf sich hat und weshalb der Candyman für jeden eine Bedrohung ist (mehr dazu in der Rezension zu Candyman: Farewell to the Flesh).

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Helen und Bernadette sprechen fünfmal den Namen des Hakenhandmörders vor einem Badezimmerspiegel.

Sorge um die Reputation als Monster

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der Candyman in Barkers Kurzgeschichte nicht schwarz ist und auch nicht die über die im Film etablierte Hintergrundgeschichte verfügt. Im Grunde hält die Erzählung die Hintergründe von Barkers Candyman im Diffusen. Das verwundert nicht. The Forbidden legt den Fokus weder auf den Gegensatz Arm und Reich, auch wenn dieser für die Geschichte nicht unwichtig ist, geschweige denn auf den Gegensatz Schwarz und Weiß, der darin gar nicht auftaucht. Stattdessen geht es um die Wahrwerdung eines Mythos, entweder als Wahnvorstellung in Helens Psyche oder tatsächlich in Gestalt eines hakenhändigen Mörders, der aus den Gerüchten und Erzählungen der Menschen entstanden ist und der Helen nur deswegen heimsucht, weil sie an seiner Wahrhaftigkeit zweifelt. Was der Candyman letztlich ist, ob Wahn oder durch kollektiven Glauben wahrgewordene Realität, lässt die Kurzgeschichte offen (mehr hierzu in der Besprechung von The Forbidden).

Die Sorge des Dämons, dass sein Mythos von den Menschen geglaubt wird, ist auch in Candymans Fluch zentral. Zu ihren Gunsten muss selbst die neue Hintergrundgeschichte zurückstehen, die der Candyman im Übrigen zu keinem Zeitpunkt erwähnt, allenfalls indirekt, wenn er Helen auffordert, sich ihm als Opfer darzubringen und zugleich als seine Komplizin in den Mythos einzugehen. Vielmehr spricht er unentwegt davon, dass Helen an ihn glauben müsse. Aus der Sorge um die Wahrhaftigkeit des eigenen Mythos erklärt sich die willkürliche Opferwahl am ehesten. In der ersten Begegnung zwischen Candyman und Helen im Parkhaus erklärt der Dämon dies. Demnach müsse er, da Helen an ihm zweifele, erscheinen und unschuldiges Blut vergießen – unschuldig deshalb, wie ich annehme, weil seine Opfer in keiner Verbindung zu den Tätern stehen, die seinen Fluch ausgelöst haben. Töten muss er sie dennoch, um als Mythos weiterzubestehen. Er muss wahrwerden lassen, was die Leute über ihn erzählen. Der Candyman ist somit nicht nur ein Serien- und Triebtäter, er ist außerdem noch ein Narzisst, der sich Sorgen um seine Reputation als Monster macht.

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Diese Szene mit sich tummelnden Bienen zeigt im Vorspann erstmals die Verbindung zwischen dem Candyman und Bienen auf. In der Verfilmung sind sie ein Element des Horrors, das aus dem Entstehungsmythos des Hakenhandkillers resultiert. In der Literaturvorlage haben die Bienen eher eine symbolische Bedeutung: So wie das Summen jeder einzelnen Biene eines Bienenvolks zu dem charakteristischen Summen in einem Bienenstock beiträgt, so erzeugen alle Erzählenden und alle von ihnen erzählten Geschichten gemeinsam den Candyman-Mythos (mehr hierzu in der Besprechung von The Forbidden).

Konflikt zwischen Vorlage und Adaption

Die Hintergrundgeschichte des filmischen Candyman als Opfer von anti-schwarzem Rassismus steht mit  im Konflikt mit der ursprünglichen literarischen, die, wie dargelegt, ebenfalls Teil des Films ist. Denn entweder ist Candyman nun wie in The Forbidden ein Mörder, der durch eine kollektive Erzählpraxis in die Existenz gehoben wird, oder aber er ist ein Dämon, der aufgrund einer moralisch verwerflichen Tat entstanden ist. Beides zugleich wirkt unausgegoren, ganz einfach, weil es in Barkers Kurzgeschichte darum geht, dass etwas Erzähltes, das nicht unbedingt wahr sein muss, schließlich auf phantastische Weise wahr wird. Rassistische Ermordungen wie die des Candymans hat es allerdings wirklich gegeben, und das in der wirklichen echten Welt jenseits von Film und Fernsehen – und selbst wenn dieser spezielle Mord aus Gründen der dramaturgischen Wirkung überzeichnet sein mag, so verweist er doch auf ein reales Grauen. Wo liegt jetzt das Problem? Nun, man könnte Candymans brutale Ermordung – seinen Entstehungsmythos – schlicht als eine weitere von vielen Geschichten innerhalb des Mythenkomplexes auffassen, den sich die Leute über ihn erzählen. Aber dann wäre diese Geschichte womöglich nie wahr gewesen und würde es auf phantastische Weise erst dadurch, dass man sie sich über ihn erzählt. Wenn man es genau nimmt, wird die Kritik an anti-schwarzem Rassismus durch die uneinheitliche Gestaltung von Candymans Motivation also boykottiert.

Deswegen ist es gut, dass sich die Fortsetzung Candyman: Farewell to the Flesh von der literarischen Vorlage löst und den Schwerpunkt auf den neuen Entstehungsmythos legt. Die Idee, dass der Candyman aus einer kollektiven Erzählpraxis entstanden ist, spielt keine Rolle mehr. Er ist immer noch ein Mythos, von dem Wandbilder erzählen und für den sogar Schreine errichtet werden, doch jetzt liegt sein Ursprung ganz klar in der rassistisch motivierten Ermordung eines schwarzen Mannes. Hier ist der Candyman eindeutig der verfluchte Geist eines Ermordeten, der dementsprechend auch gebannt bzw. erlöst werden kann (mehr dazu in der Rezension zu Candyman: Farewell to the Flesh).

Die 2021er Neuadaption des Candyman-Erzählstoffes greift den Konflikt ebenfalls auf, löst ihn aber anders als Farewell to the Flesh. Im neuen Candyman steht außer Frage, dass die schrecklichen Geschehnisse, die Candyman hervorgebracht haben, wahr sind, sie müssen aber dennoch erzählt werden, damit Hakenhandkiller fortbestehen kann – als Ausdruck und Rächer einer langen Reihe von leidvollen Traumatisierungen, die der schwarzen Community in den USA aufgrund von strukturellem Rassismus widerfahren ist (mehr dazu in der Kritik zu Candyman (2021)).

Fazit: Sehenswert im Kontext der Neuauflage

Candymans Fluch macht aus Clive Barkers Kurzgeschichte The Forbidden etwas Neues. Der Film erschafft eine schwarze Horrorikone mit einer düsteren Präsenz als Alleinstellungsmerkmal im Slasher-Genre. Halb Psycho-Thriller, halb Slasher mit Kills, die noch heute gut aussehen, übt Candymans Fluch relativ offen Kritik am strukturell verankerten anti-schwarzen Rassismus in den USA, geht aber aus heutiger Sicht nicht weit genug. Dennoch ist es der Verdienst dieses Films, eine beeindruckende und vor allem mächtige schwarze Figur erschaffen zu haben, in einer Zeit, in der schwarze Menschen oft nur lustige Sidekicks des weißen Helden gespielt haben oder schlimmer: im Horrorfilm regelmäßig die ersten Opfer des Killers wurden. Ein wenig leidet der Film unter der uneinheitlichen Motivation des dämonischen Antagonisten – bald wirkt es so, als wäre die Kritik an anti-schwarzem Rassismus nur oberflächlich gemeint oder einer anderen Motivation, die noch von der Literaturvorlage herrührt, aufgepfropft. Klar ist, dass sich der Film nicht von einer weißen Perspektive auf die Thematik lösen kann. Insgesamt aber, wenn man die genannten Makel verzeihen will, ist der Horrorkultklassiker immer noch sehenswert – insbesondere im Bezug zu Nia DaCostas Neuadaption, die ein verstecktes Sequel zu diesem ist.

 

Endnoten

[i] Damit sich die Verfilmung von 1992 (Candyman) sprachlich leichter von der 2021er Adaption des Erzählstoffes (ebenfalls Candyman) unterscheiden lässt, verwende ich hier weiterhin den deutschen Titel Candymans Fluch.

[ii] „Black Lives Matter (BLM, englisch für Schwarze Leben zählen) ist eine transnationale Bewegung, die in den Vereinigten Staaten entstanden ist und sich gegen Gewalt gegen Schwarze bzw. People of Color einsetzt. Black Lives Matter organisiert regelmäßig Proteste gegen die Tötung Schwarzer durch Polizeibeamte und zu anderen Problemen wie Racial Profiling, Polizeigewalt und Rassismus.“, zitiert nach Wikipedia, URL-1.

 

Filmografie

A Nightmare on Elm Street, 1984, Regie: Wes Craven, USA (Deutscher Titel: Nightmare - Mörderische Träume)

Candyman, 1992, Regie: Bernard Rose, USA (Deutscher Titel: Candymans Fluch)

Candyman, 2021, Regie: Nia DaCosta, USA, Kanada, Australien

Candyman: Day of the Dead, 1999, Regie: Turi Meyer, USA (Deutscher Titel: Candyman 3 – Tag der Toten)

Candyman: Farewell to the Flesh, 1995, Regie: Bill Condon, USA, Großbritannien (Deutscher Titel: Candyman 2 - Die Blutrache)

Halloween, 1978, Regie: John Carpenter, USA (Deutscher Titel: Halloween: Die Nacht des Grauens)

The Curse of La Llorona, 2019, Regie: Micheal Caches, USA (Deutscher Titel: Lloronas Fluch)

Literatur

Clive Barker: The Forbidden. In: Ders.: Books of Blood. Volume 4-6 (Second Omnibus). Erstveröffentlichung von Sphere Book Ltd. 1985. Neuauflage von Sphere 2007. London.

Links

Für die einzelnen URLs wurde kein Zugriffsdatum angegeben, da ihre Zugänglichkeit insgesamt im Oktober 2021 überprüft wurde.

URL-1: Black Lives Matter [Art.] In: Wikipedia. Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Black_Lives_Matter.

 

Dieser Text ist Teil des Candyman-Themenspezials:

candyman spezial 8Nachbesprechung zu „Candyman“

Anlässlich der meisterhaften Neuadaption des Horrorkultklassikers Candymans Fluch (1992) besprechen wir Neuauflage, Originalfilm und die literarische Vorlage.

 

 

Infokasten

„Candymans Fluch“ (OT: Candyman)

Regie: Bernard Rose

Drehbuch: Bernard Rose

Literaturvorlage: Clive Barker (The Forbidden, 1985)

Laufzeit: 99 Minuten

Produzent: PolyGram Filmed Entertainment, Propaganda Films, Candyman Films

Verleih: Turbine Medien (seit 2020; Blu-Ray)

 

„Candyman“

Regie: Nia DaCosta

Drehbuch: Jordan Peele, Win Rosenfeld, Nia DaCosta

Laufzeit: 91 Minuten

Produzent: Universal Pictures, Metro-Goldwyn-Mayer (MGM), BRON Studios, Monkeypaw Productions, Creative Wealth Media Finance

Verleih: Universal Pictures International

USA, Kanada, Australien | 2021

Veröffentlichung: Kinostart am 26. August 2021.

Bildrechte: Die Bilder dieses Artikels sind Ausschnitte aus dem besprochenen Medieninhalt. Deren Rechteinhaber können Sie dieser Infobox entnehmen.

Letzte Änderung amSamstag, 16 Oktober 2021 08:15
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kranken sind die Gesündesten. Das klingt geistreich oder vielleicht zugespitzt. Aber es ist mir ganz ernst damit, es ist nicht eine witzige Formel. Der Mensch, der krank ist, der zeigt, daß bei ihm gewisse menschliche Dinge noch nicht so unterdrückt sind, daß sie in Konflikt kommen mit den Mustern der Kultur und daß sie dadurch, durch diese Friktion, Symptome erzeugen. […] sehr viele Menschen, das heißt, die Normalen, sind so angepaßt, die haben so alles, was ihr eigen ist, verlassen, die sind so entfremdet, so instrumente-, so roboterhaft geworden, daß sie schon gar keinen Konflikt mehr empfinden.“

– Erich Fromm

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