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Film

Horror for Future #7: „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“

Empfehlung Filmszene (Ausschnitt) Warner Bros. Pictures Filmszene (Ausschnitt)

Steigender Meeresspiegel, Untergang der alten Welt und Erinnerung an Früher als Flucht vor der Gegenwart, das sind nur drei Zutaten in diesem gelungenen Genremix.

Rezension

Wer bei dem Kriegsveteran Nick Bannister (Hugh Jackman) eine Sitzung bucht, will nicht nur in alter Erinnerung schwelgen, er will einen für immer verlorenen Moment aus seiner Vergangenheit wiedererleben, und zwar so plastisch wie möglich. Die Technologie, die Bannister dafür verwendet, war ursprünglich Militärtechnik und diente dem Verhör. Jetzt beschert sie ihm und seiner Kollegin Emily Sanders (Thandiwe Newton) ein bescheidenes Auskommen. Seine Kunden haben Gründe genug, die Gegenwart zu schmähen. Tagsüber ist es so heiß, dass nachts gearbeitet wird, schlimmer noch: Das Wasser steht mittlerweile so hoch, dass Miami in weiten Teilen versunken ist. Draußen auf dem Meer wurde Ersatz gebaut: eine schwimmende Stadt, genannt Sunken Coast. Wenigstens der Krieg, der mit Anstieg des Meeresspiegels ausgebrochen war, hat ein Ende gefunden. Nostalgie ist en vogue. Sie tröstet die Menschen, die sich wieder wie zu Zeiten Al Capones kleiden, mit der Erinnerung an Früher, die sie betäubt.

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reminiscence 1Doch Erinnerung kann süchtig machen, weiß Bannister aus eigener Erfahrung. Nicht lange her, da war eine mysteriöse Frau in sein Leben getreten – Mae (Rebecca Ferguson), eine Sängerin in hinreißendem Abendkleid, in die er sich verliebt hat wie in keine andere. Aber dann, eines Tages, war sie von heute auf morgen verschwunden. Seither sucht Bannister sie wie ein Besessener, doch nirgends eine Spur. Als er für die Staatsanwaltschaft die Erinnerungen eines Drogendealers ausliest, trifft er sie schließlich wieder. Vor fünf Jahren in New Orleans hatte Mae mit dem Verbrecher zu tun. Bannisters manische Suche beginnt von neuem, diesmal begleitet von nagendem Zweifel: Wer ist Mae wirklich und was ist ihr zugestoßen?

Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie ist eine gelungene Mischung aus Neo Noir, Cyberpunk und Climate Fiction, die einem typischen Film-Noir-Plot folgt: In einer korrupten Gesellschaft spürt der gezeichnete Ermittler einer verschwundenen, von Geheimnissen umwitterten Frau nach, in die er sich verliebt hat, die jedoch, wie die Recherchen bald zeigen, eine zwielichtige Person mit mehreren Identitäten zu sein scheint. Nick Bannister ist in seine Ermittlungen somit persönlich investiert, und das involviert als Zuschauer*in ungemein, insbesondere weil seine Erlebnisse mit bedeutungsvollen Einsichten präsentiert werden, dargebracht von ihm selbst als genretypische Erzählerstimme aus dem Off, ohne dass dies abgeschmackt wirkt, im Gegenteil: Rhetorisch gut gearbeitet verstärkt die Off-Erzählung das filmische Geschehen in seiner emotionalen Wirkung und verleiht ihm einen melancholischen Touch.

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reminiscence 3Die eingangs erwähnte Erinnerungstechnologie peppt dieses althergebrachte Erzählkonzept auf, während das dazugehörige gute alte Setting mit skrupellosen Gangstern, korrupten Cops und Firmenbossen, die Dreck am Stecken haben, durch die eingetretene Klimakatastrophe aktualisiert wird. Die Mischung passt ausgesprochen gut zusammen, sowohl inhaltlich als auch symbolisch, und wird in ansprechenden Filmbildern in Szene gesetzt. Schon für die Panoramabilder eines aus dem Meer emporragenden Miamis lohnt sich Reminiscence. Actionsequenzen gibt es auch, aber im Vordergrund stehen die Dialoge und die sich ruhig entfaltende Handlung. Eine großartig inszenierte Schießerei, die an gute Western erinnert, und eine Verfolgungsjagd mit deftigem Schlagabtausch sind dennoch dabei. Choreografisch interessant ist hierbei, dass Bannister zwar Veteran ist, aber weder Martial-Arts-Profi noch Parkour-Künstler mit makelloser Technik, wie sie Geheimagenten und Superhelden mittlerweile allzu oft präsentieren. Dadurch, dass der Protagonist nicht perfekt ist, erhalten die Kämpfe und Verfolgungsjagden etwas körperlich Spürbares. Sie wirken nicht wie ein einstudierter Tanz, sondern rau und dreckig.

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Fazit: Neo-Noir-Thriller im halbversunkenen Miami

Deutlich zu wenig Aufmerksamkeit hat Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie in der deutschen Kinolandschaft erfahren. Wenn überhaupt, dann lief dieser sehenswerte und raffiniert erzählte Genremix nur sehr kurz im Kino. Dabei ist dieses Langfilmdebüt von Lisa Joy, die die HBO-Serie Westworld produziert, durchaus ein Film für die große Leinwand, denn alles in allem ist er ein mitreißender, zugleich mit bedeutungsvollen Einsichten gespickter Neo-Noir-Thriller vor der Kulisse einer dystopischen Klimakatastrophe. Auf die geflutete Skyline Miamis blickend bittet Mae um eine Geschichte mit Happy End, woraufhin ihr Bannister erwidert, dass es so etwas wie Happy Ends nicht gebe: „Vor allem dann nicht, wenn es eine schöne Geschichte ist.“ Diese Szene steht sinnbildlich für diesen Film, doch anders, als man auf den ersten Blick denken mag.

 

Infokasten

„Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ (OT: Reminiscence)

Regie: Lisa Joy

Drehbuch: Lisa Joy

Laufzeit: 116 Minuten

Produzent: FilmNation Entertainment, Kilter Films, Michael De Luca Productions

Verleih: Warner Bros. Pictures (Kino)

USA | 2021

Veröffentlichung: Deutscher Kinostart am 26. August 2021.

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Letzte Änderung amFreitag, 17 September 2021 15:35
André Vollmer

Schriftsteller. Forscher. Phantast. Am Meer geboren. Gründer von Mellowdramatix.

Unter anderem auch das . . .

„Without doubt I wouldn't be sane.”

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